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Das Geheimnis der Kirche (Siebzehnter Teil)
Fortgesetzt von Das Geheimnis der Kirche (Sechzehnter Teil)
Ein „Schein“-Christentum
Der Vorhang fiel bereits über die Geschichte der wahren Kirche. Man liest von ihr in der Apostelgeschichte, aber bald darauf reißt der historische Faden. Um das Jahr 150 scheint sich der Vorhang wieder zu heben, man kann den Faden wieder aufnehmen, und wir erblicken eine Kirche, die sich christlich nennt, aber total verschieden ist vom wahren, vom ursprünglichen Christentum.
Ein Zitat aus Gibbons The Decline and Fall of the Roman Empire, Band 1, Kapitel 15: „Die spärlichen und unzuverlässigen kirchengeschichtlichen Daten befähigen uns nur selten, die dunkle Wolke zu durchdringen, die über dem ersten Zeitalter der Kirche hängt.“ Ich habe es oft „das verlorene Jahrhundert“ genannt, weil die Geschichte „dieser“ Kirche damals verlorenging.
Wissenschaftler und Kirchenhistoriker geben zu, dass die frühkirchliche Zeit zwischen 50 und 150 nur in vagen Umrissen zu erkennen ist – wie hinter einer dicken Nebelwand.
Der bedeutende englische Gelehrte Samuel G. Green in seinem Handbook of Church History: „Die dreißig Jahre, die dem Abschluss des neutestamentlichen Kanons und der Zerstörung Jerusalems folgten, sind in der Tat die dunkelsten in der Geschichte der Kirche. Wenn wir im zweiten Jahrhundert wieder auftauchen, befinden wir uns in einer weitgehend veränderten Welt.“
William Fitzgerald in Lectures on Ecclesiastical History: „Auf dieser Übergangszeit, die unmittelbar auf die zu Recht apostolisch genannte Zeit folgt, liegt ein dunkler Schleier …“
William J. McGlothlin in The Course of Christian History: „Das Christentum selbst wandelte sich im Lauf seiner Entwicklung, und am Ende dieser Periode unterschied es sich in vielerlei Hinsicht stark vom apostolischen Christentum.“
Und Philip Schaff in History of the Christian Church: „Die verbleibenden Jahre des ersten Jahrhunderts sind in geheimnisvolles Dunkel gehüllt, erhellt nur von den Schriften des Johannes. Dies ist ein Abschnitt der Kirchengeschichte, über den wir am wenigsten wissen und über den wir am meisten wissen möchten.“
Wenn wir aufmerksam in den Nebel schauen, beginnen wir aber zu erkennen, was vor sich ging.
Die Welt, in der Christus seine Kirche gründete, war die Welt des Imperium Romanum – des größten und mächtigsten Reiches, das es bis dahin gegeben hatte. Es erstreckte sich von den Britischen Inseln bis weit in die heutige Türkei, umfasste Menschen der verschiedensten Herkunft und Kultur unter einer Herrschaft.
Roms Herrscherhand war streng, doch die unterworfenen Völker genossen gleichwohl im Rahmen des römischen Rechts beträchtliche Freiheit. Unter der Voraussetzung, dem römischen Kaiser zu huldigen, durften alle Bürger und unterworfenen Völker ihre alten Kulte weiter pflegen und die Götter ihrer Vorfahren anbeten.
Nach dem Pfingsttag begannen die Apostel Christi Weisung zu befolgen, in die Welt hinauszugehen und das Evangelium vom Reich zu predigen. Bei seiner Verbreitung von Judäa aus nach Norden traf das Christentum bald auf die heidnischen Religionen Babylons, Persiens und Griechenlands.
Die Apostel kamen in Kontakt mit Simon Magus, dem selbsternannten Führer eines Kultes, der sich von der altbabylonischen Mysterienreligion herleitete.
Simon Magus’ Versuch, sich in der Frühkirche eine einflussreiche Stellung zu erkaufen (daher „Simonie“), scheiterte an Petrus (Apostelgeschichte 8). Doch bald folgten andere Irrlehrer.
In seinen frühen Briefen warnt Paulus die jungen Gemeinden von Griechenland und Galatien vor der Gefahr des Abfalls zu einem anderen Evangelium – einem falschen Bild von Christus und seiner Botschaft.
Das Evangelium Christi wurde verwässert: Irrlehrer, stark beeinflusst von babylonischen und persischen Glaubensvorstellungen, unterwanderten die Gemeinden.
Immer wieder im ersten Jahrhundert appellieren die Apostel an die Gemeinden, beim Glauben zu bleiben.
Judas, der Bruder Jesu, mahnt die Mitglieder, für den ursprünglichen Glauben zu kämpfen (Judas 3).
Der Apostel Johannes mahnt die Geschwister, Menschen abzuweisen, die Irrlehren einschleusen (2. Johannes 10).
Viele, die sich Christen nannten, waren nicht wirklich bekehrt worden. Freilich hatten sie, zusammen mit den echten Christen, in dieser Zeit starke Verfolgung zu leiden, weil sie sich weigerten, den römischen Kaiser anzubeten.
Der wahnsinnige Nero schob die Schuld am Brand Roms im Jahr 64 den Christen zu und verfolgte sie heftig. Tausende starben den Märtyrertod.
Kurz darauf erhoben sich die Juden in Palästina gegen die Römer. Im Jahre 70 wurde der Aufstand niedergeschlagen, Jerusalem zerstört.
Eine kleine Anzahl wahrer Christen floh aus Jerusalem über die Berge in die Stadt Pella.
Sieben Kirchenzeitalter
Im Buch der Offenbarung finden sich sieben Sendschreiben an sieben Gemeinden, die damals, gegen Ende des ersten Jahrhunderts, in Kleinasien bestanden.
Diese Gemeinden – Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodicea – lagen an einer Postroute des alten Römischen Reiches.
Die Sendschreiben konnten somit von einem Boten von Gemeinde zu Gemeinde gebracht werden.
Die Sendschreiben enthalten jeweils sowohl Ermutigung als auch Kritik und zeigen die damals herrschenden Verhältnisse in den einzelnen Gemeinden.
Aber sie richten sich noch an andere Adressaten als nur die Christen in diesen kleinen Städten.
Sie enthalten eine Reihe bemerkenswerter Prophezeiungen, die skizzenhaft die Zukunft der wahren Kirche voraussagen, von ihrem Gründungstag Pfingsten 31 bis zum zweiten Kommen Christi.
Danach zerfällt die Kirchengeschichte in sieben klar unterscheidbare Zeitalter, jedes mit eigenen Stärken und Schwächen, mit eigenen Prüfungen und Problemen.
Wie ein Sendbote über die Poststraße von Ephesus nach Laodicea, so sollte die Wahrheit Gottes von Zeitalter zu Zeitalter weiterlaufen.
Man kann es fast mit einem Staffellauf vergleichen, bei dem der Stab von Läufer zu Läufer weitergegeben wird, bis das Ziel erreicht ist.
Irgendwann in den ersten Dekaden des zweiten Jahrhunderts ging der Stab von der Ephesus-Ära auf die Menschen über, die Gott in der Smyrna-Ära seiner Kirche berief.
Machtlos, oft verfolgt, als Ketzer verfemt, verloren sie sich im geschichtlichen Dunkel. Statt ihrer taucht aus dem verlorenen Jahrhundert eine Kirche auf, die an Mitgliederzahl stark wächst, aber mit dem Evangelium Jesu immer weniger gemein hat.
Bis ins vierte Jahrhundert gab es unter den Römern immer wieder Christenverfolgungen. Dann machte Konstantin die entartete Kirche, die aufgetaucht war, zur Staatskirche.
Es war, wie gesagt, eine ganz andere als die von Jesus gegründete Kirche. Jesu und der Apostel Lehren waren verschüttet unter vielerlei äußerlichen Riten, Zeremonien und Geheimnissen dieser Kirche, die sich christlich nannte. In Wirklichkeit handelte es sich um die babylonische Mysterienreligion im christlichen Gewand: Die Gnadenlehre wurde übernommen, aber zu einem Freibrief verdreht.
Nach der Anerkennung durch Konstantin ging diese Kirche mit neuer Kraft an die Verbreitung ihrer Botschaft. Lehrer und Missionare wurden in alle Teile des Römischen Reiches geschickt, um über Jesus zu predigen. Tausende – vielleicht Millionen – hörten dieses Evangelium und glaubten es. Aber es war nicht das von Christus gepredigte Evangelium – seine prophetische Botschaft vom kommenden Reich Gottes.
Wird fortgesetzt...