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Der Orbán-Staat

OMAR MARQUES/GETTY IMAGES

Der Orbán-Staat

Viktor Orbán könnte Ungarns einflussreichster Mann bleiben, ganz gleich, ob er im Amt ist oder nicht.

Ungarns Parlament stimmte am 27. April dafür, die Kontrolle über staatliche Einrichtungen an private Stiftungen zu übertragen. Das mag wie eine harmlose Privatisierung klingen, ist aber in Wirklichkeit ein Machtzugriff des ungarischen Premierministers Viktor Orbán.

Diese Pläne beinhalten die Auslagerung mehrerer wichtiger staatlicher Bildungs- und Kultureinrichtungen in Stiftungen. Dazu gehören 11 Universitäten, Anteile an größeren ungarischen Unternehmen, ein Stahlwerk, ein Fußballstadion und sogar das Palais des österreichisch-ungarischen Kaisers Franz Josef, das heute ein Museum ist. Alle diese Einrichtungen sind Milliarden von Euro wert. Sie werden nun einer geringeren finanziellen Aufsicht unterliegen als die staatlichen Einrichtungen. Und mindestens eine Universität wird in die Kontrolle der katholischen Kirche übergehen.

Wie kann das für Orbán ein Machtzugriff sein, da er an der Spitze der Regierung steht?

Orbán ist seit 2010 Premierminister. Er benutzte sein Amt, um seine Macht zu festigen (wie zum Beispiel mit seinem diktatorischen Covid-19- Notstandsgesetz vom letzten Jahr) und durch eine gespaltene Opposition konnte er sich leicht an der Macht halten.

Doch die nächsten Parlamentswahlen in Ungarn sind 2022. Und dieses Mal ist es nicht mehr so sicher, dass Orbán an der Macht bleibt. Sechs der größten Oppositionsparteien Ungarns sind übereingekommen, sich hinter einem Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten zu vereinen – ein Kandidat, der alle von der extremen Rechten bis zu den Grünen vereint. Das macht aus der nächsten Wahl praktisch ein Referendum über Viktor Orbán. Er ist seit über 10 Jahren an der Macht und absolvierte in den 1990er Jahren bereits eine Amtszeit als Premierminister. Viele Ungarn sind seiner überdrüssig. Das könnte die beste Chance für die Opposition sein, ihn zu stürzen. Umfragen zeigen, dass die vereinte Opposition einen leichten Vorteil gegenüber Orbáns Partei, Fidesz, hat.

Orbán nimmt diese Bedrohung ernst. Und das ist auch die Motivation hinter den Unternehmens-Transfers.

Die meisten dieser privaten Stiftungen werden von Orbán-Loyalisten regiert. Vorher wurden die Universitäten und die anderen Institutionen als autonome, unabhängige Einrichtungen betrieben. Jetzt werden sie unter der Kontrolle von Orbáns Oligarchenfreunden stehen, die lebenslang im Amt bleiben.

Mit anderen Worten: Anstatt unter staatlicher Kontrolle zu stehen, werden sie nun von der Fidesz kontrolliert. Unabhängig davon, ob Orbán Ministerpräsident ist oder nicht.

Wenn er nächstes Jahr abgewählt wird, wird Orbán immer noch die Kontrolle über die staatlichen Institutionen behalten, auch wenn er nicht mehr im Amt ist.

Er hat sogar versucht, 4 Milliarden Dollar aus dem Covid-19-Konjunkturprogramm der EU als Anreiz für die Entscheidungsträger der Universitäten zu nutzen, sich ihm anzuschließen. Aber er sah sich gezwungen, diesen Plan fallen zu lassen, nachdem die EU ihre Skepsis zum Ausdruck brachte.

Die Zusammensetzung der Stiftungsvorstände kann nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament geändert werden. Dieselbe Mehrheit ist nötig, um die ungarische Verfassung zu ändern.

So gesehen stellt sich Orbán im Grunde als Ungarns „Schattenpremier“ auf – für den Fall, dass er nicht wiedergewählt wird. Er versucht, seiner Fidesz Partei die gleiche Autorität zu verleihen, die die Regierung hat. Wenn die vereinigte Opposition die Wahl gewinnt, wird Ungarn effektiv zwei Regierungen haben: die offizielle im Parlament und Orbáns Fidesz, die im Schatten lauert.

Das hört sich vielleicht sensationslüstern an. Höhere Bildung und Museen sind nicht gleich wichtig wie die eigentlichen Regierungsbehörden. Aber die Universitäten sind der Ort, an dem die nächste Generation von Politikern, Geschäftsleuten, Wissenschaftlern und anderen Intellektuellen eines Landes hervorgebracht wird. Wenn Orbán Einfluss darauf nehmen kann, wie Ungarns künftige Führungspersönlichkeiten ausgebildet werden, kann er sich bei künftigen Wahlen noch einflussreichere Unterstützer heranziehen. Ihm bleibt noch etwa ein Jahr bis zur nächsten Wahl und er könnte in der Zwischenzeit noch mehr staatliche Institutionen unter die Kontrolle von Fidesz bringen.

Und nicht nur die Universitäten durchlaufen diesen Prozess. Fidesz machte dasselbe mit Ungarns freier Presse. Einige schätzen, dass zwischen 80 und 95 Prozent der ungarischen Medien entweder von der Regierung kontrolliert werden oder anderweitig unter Orbáns Einfluss stehen.

Es scheint, dass Orbán entschlossen ist, Ungarns Anführer zu bleiben, mit oder ohne offizielles Amt.

Als der Kommunismus zusammenbrach, dachten viele, dies würde das Ende der Diktaturen in Europa bedeuten. Die Entstehung von Institutionen wie die Europäische Union wurde als Zeichen dafür gedeutet, dass Europa als Ganzes letztendlich zu Freiheit und Demokratie zurückkehren würde. Aber EU-Länder wie Ungarn wurden mehr und mehr diktatorisch. Und die Covid-19-Krise hat diesen Prozess nur noch beschleunigt.

Unter Bezugnahme auf Viktor Orbán schrieb der Chefredakteur der Posaune, Gerald Flurry, in seinem Artikel „Das Coronavirus und das Heilige Römische Reich“: „Die europäischen Führer benehmen sich zunehmend wie Diktatoren und statten sich mit diktatorischer Macht aus. Die Menschen in Europa werden darauf vorbereitet, mehr tyrannische Führung zu akzeptieren.

Orbán regiert Ungarn nun schon seit Jahren wie ein Diktator. Trotzdem hat die EU wenig bis nichts dagegen getan. „Die EU hat bisher nichts unternommen, um Orbán dafür zu bestrafen – es wurde einfach nichts getan“, schrieb Herr Flurry und sagte dazu, dass „die Akzeptanz von Orbáns Diktatur in der EU ein Zeichen dafür [sein könnte], dass Europa als Ganzes in nächster Zukunft einen sehr diktatorischen Kurs steuern wird.“

Um mehr darüber zu erfahren, sehen Sie sich „Der Schlüssel Davids“ an: „Das Coronavirus und das Heilige Römische Reich.