Der unvermeidliche Verfall von Merkels Beliebtheit
Das folgende ist ein Artikel, den wir schon einmal veröffentlicht haben. Doch aufgrund der bevorstehenden Wahlen glauben wir, dass es sinnvoll wäre, ihn noch einmal zu lesen:
Für die „ruhige Deutsche“, die mächtigste Frau der Welt, war Politik lange Zeit ein Spiel der Übereinstimmung mit der öffentlichen Meinung. „Ich werde alles für alle Leute sein“, sagte Angela Merkel, nachdem sie 2005 Kanzlerin wurde. Als man einen von Merkels Beratern nach ihrer langfristigen Perspektive fragte, meinte der nur: Die langfristige Perspektive der Kanzlerin ist für etwa zwei Wochen.“ Als George Packer eine der Vorsitzenden der Grünen Katrin Göring-Eckardt fragte, ob denn Frau Merkel wohl irgendwelche Prinzipien hätte, überlegte sie kurz und sagte dann: „Sie hat ein Prinzip, einen starken Hang zur Freiheit und alles andere ist verhandelbar.
Elf Jahre lang hat Frau Merkels taktisches Genie funktioniert. Sie war eine meisterhaft gute Zuhörerin, eine wissenschaftliche Analytikerin. Als studierte Physikerin beobachtete sie jedes Detail, wartete ihren Moment ab, hielt den Mund und war allen ihren Konkurrenten immer zwei Schritte voraus. Auch jetzt werden viele ihrer Kritiker nicht abstreiten, dass die wirtschaftliche Lage die Beste ist, die Deutschland je erlebt hat.
Aber in letzter Zeit hat die Merkel-Maschine einen kleinen Fehler: Sie arbeitet nicht im Sinne der öffentlichen Meinung.
Mecklenburg-Vorpommern
Die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern am 4. September stellten das klar unter Beweis. Normalerweise sind die dortigen Landtagswahlen kaum von Bedeutung; Mecklenburg-Vorpommern macht nur etwa zwei Prozent der Bevölkerung Deutschlands aus. Trotzdem nannte Der Spiegel die Wahlen eine „Abstimmung über die Kanzlerin“; die „Merkel-Wahl“.
Die Vorstellung, dass eine höhere Wahlbeteiligung die populistischen Parteien schwächt, wird in Deutschland gerade widerlegt. In Wirklichkeit scheint das von Anfang an ein Trugschluss gewesen zu sein – populistische Parteien richten sich an den Normalbürger und der Normalbürger geht diesmal zur Wahlurne.
Angela Merkels Christlich Demokratische Union (CDU) erreichte bei diesen Wahlen mit 19 Prozent nur den dritten Platz. Vor ihr lag die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) mit 30,6 Prozent und die Alternative für Deutschland (AfD) mit 20,8 Prozent.
Im Moment führt Frau Merkel Deutschland an, und zwar mit einer großen Koalition der konservativen Parteien CDU und der Christlich Sozialen Union (CSU) mit dem Partner der Mittelinkspartei SPD. Koalitionen waren im Vor- und Nachkriegsdeutschland allgemein üblich. Da die CDU und die SPD beide Seiten des politischen Spektrums vertreten, war, wie der New Yorker bereits vor einiger Zeit kommentierte, „der politische Konsens in Deutschland bisher so stabil, das neue Gesetze immer problemlos und schnell im Parlament verabschiedet wurden, während bedeutungsvolle Debatten fast vollständig verschwunden sind.“
Aber jetzt ist die Debatte wieder da und Frau Merkel wird von allen Seiten attackiert, sowohl von ihren Verbündeten als auch von ihren Gegnern. Edmund Stoiber, früher Ministerpräsident von Bayern und CSU- Veteran, hat bereits wiederholt festgestellt, was er für das Problem hält: Die CDU hat zugelassen, dass eine andere Partei die richtigen Antworten auf die Sorgen der konservativen Bürger gibt.
Die AfD ist sicherlich auf die Bedenken der konservativen Bürger in Mecklenburg-Vorpommern eingegangen und wie Stoiber sagte, hat die CDU die Wählerrechte in einer Demokratie aus den Augen verloren. Aber es gilt immer noch, was die Trumpet bereits im April schrieb: „Die Leute trauen der AfD nicht wirklich, aber sie haben keine Alternative, denn die CSU gibt es nur in Bayern.“
Zwei Wochen nach den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, am 18. September, hat sich annähernd dasselbe Szenario in Berlin nochmal wiederholt. Frau Merkels CDU hatte mit nur 17,6 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer ganzen Geschichte. Die AfD hatte enormen Zulauf und kam beim ersten Mal gleich mit 14 Prozent der Stimmen ins Parlament des Bundeslandes Berlin.
Politik gegen die öffentliche Meinung
Russlands Annektierung der Krim im März 2014 war der Wendepunkt von Frau Merkels Annäherung an die öffentliche Meinung. Der russische Präsident hatte schnell und wirkungsvoll Gebiete für Russland hinzugewonnen und der Westen war entsetzt. Auch wenn Frau Merkel nicht militärisch intervenieren wollte, versprach sie doch, dass Russland die Krim nicht „so einfach“ annektieren könnte. Sie wollte eine ernst zu nehmende Reaktion.
Die öffentliche Meinung war gegen sie. Der Spiegel berichtete, dass 54 Prozent der Deutschen meinten, die Europäische Union und die Vereinigten Staaten sollten das russische Vorgehen tolerieren. Bei einer Umfrage von Pew stellte sich heraus, dass nur 19 Prozent der Deutschen meinten, die NATO solle der Ukraine Waffen liefern – die niedrigste Zustimmungsrate von allen NATO-Staaten.
Seither hat die Beliebtheit der Kanzlerin immer mehr abgenommen. Der Bürgerkrieg in Syrien, der 2011 begann, hatte ab 2014 bedenkliche Folgen für Deutschland. Der Spiegel stellte Syrien als Frau Merkels „größtes Problem“ dar. Frau Merkels einziges und wichtigstes Prinzip ist laut Katrin Göring-Eckardt „ein starker Hang zur Freiheit“. Für die Kanzlerin bedeutet das, Millionen von Flüchtlingen nach Deutschland hereinzulassen.
Merkel's popularity falls below 50% for the first time ever. [#Germany Infratest/Dimap poll]:
— Yannis Koutsomitis (@YanniKouts) February 3, 2016
46% -8 points pic.twitter.com/YZF1XPsB0W
Zwei Millionen Flüchtlinge kamen 2015 nach Deutschland. Etwa 860.000 verließen das Land im selben Jahr wieder, so dass sich der Bevölkerungszuwachs auf 1,1 Millionen belief. Zum Vergleich betrug die Einwanderung in den Vereinigten Staaten, wo die Immigration die politischen Debatten beherrscht hat, netto 1,7 Millionen. Die Anzahl der Einwohner in den USA ist etwa vier Mal so hoch wie die Deutschlands, wobei die Landmasse der Staaten flächenmäßig 27 Mal so groß ist. Um bei der Einwanderung im Verhältnis den Umfang der Immigration in Deutschland zu erreichen, müssten die USA doppelt so viele Einwanderer aufnehmen wie bisher.
Als Höhepunkt des Jahres der Einwanderung haben dann in der Neujahrsnacht in Köln geschätzte 2000 „Araber“ oder „Nordafrikaner“ in Gruppen zusammengeschlossen etwa 1200 Frauen sexuell belästigt. Dieser Massenüberfall war einer der größten Skandale der vergangenen Jahre, noch verschlimmert durch das „völlige Versagen der Presse und der Medien, die erst mehrere Tage später darüber berichteten.“
Auf bereits vorhandene Bedenken gegen den negativen Einfluss der muslimischen Einwanderer folgte jetzt eine enorme Flutwelle der Empörung. Die kleine Minderheit von wirklichen Rassisten in Deutschland hatte jetzt einen guten Grund für einen Aufschrei. Die Zahl der Brandstiftungen und Verbrechen in und an Flüchtlingslagern stieg insgesamt auf das 15-fache und nahm im Verhältnis zu 2014 auf das Fünffache zu.
Trotzdem stand Kanzlerin Merkel zu ihrer Flüchtlingspolitik. Vor der Ankunft der Flüchtlinge lag ihre Beliebtheit bei 75 Prozent. Ein halbes Jahr später, Mitte 2016, war sie bereits unter 50 Prozent gefallen.
Dann kam der Böhmermann-Skandal. In den internationalen Medien war kaum darüber berichtet worden – kaum jemand außerhalb Europas kannte den Fernsehmoderator und Satiriker Jan Böhmermann, der für den deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ZDF arbeitet. Er hatte mit einem Gedicht den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan beleidigt und das setzte eine immense Debatte in Deutschland in Gang.
Die deutsche Kanzlerin hatte Überstunden gemacht, um ein Abkommen mit der Türkei zu schließen und so den Flüchtlingsstrom vom mittleren Osten nach Europa einzudämmen. Dieses Abkommen war umstritten und um es abschließen zu können, mussten im Gegenzug auch türkische Forderungen erfüllt werden, und die Türken versuchen schon seit Jahren, der EU beizutreten. Kurz und gut: Frau Merkel wollte Herrn Erdoğan eine Freude machen.
Präsident Erdoğan sah in dem Gedicht einen beleidigenden Angriff auf ein ausländisches Staatsoberhaupt und verlangte eine strafrechtliche Verfolgung Böhmermanns. Frau Merkel kam Erdoğan zu Hilfe, verbot die Veröffentlichung des Gedichts und gestattete die Verfolgung Böhmermanns.
“Wir erleben gerade den Anfang vom Ende von Frau Merkels Kanzlerschaft mit.“ schrieb Oliver Kalkofe auf Twitter über die Böhmermann-Affäre. „Ich schäme mich über so wenig Rückgrat.“
Als der Skandal Auswirkungen zeigte, schrieben wir: „Anfang April waren noch 56 Prozent mit Frau Merkels Politik zufrieden … Aber nach Böhmermanns Gedicht fiel ihre Beliebtheit um weitere 11 Prozent – ein großer Umschwung in der deutschen Politik.“
Der Terrorismus schlägt am Ende doch zu
Der offenen Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik ihrer Parteifreunde und Verbündeten wie Horst Seehofer, Edmund Stoiber und Karl-Theodor zu Guttenberg konnte Frau Merkel vor dem Juli immerhin entgegnen, dass bisher kein ernstzunehmender Terroranschlag auf deutschem Boden stattgefunden hatte.
Aber das änderte sich im Juli schlagartig.
In der Septemberausgabe der Trumpet berichteten wir:
Deutschland war schockiert über vier spektakuläre Mordanschläge in nur einer Woche. Am 18. Juli verletzte ein jugendlicher afghanischer Immigrant bei einem Anschlag mit einer Axt in einem Zug drei Personen schwer und verwandelte den Wagon in ein „Schlachthaus“, wie es ein Zeuge ausdrückte. Der Angreifer behauptete, dem Islamischen Staat treu ergeben zu sein. Am 22. Juli erschoss ein in Deutschland geborener Iraner neun Personen mit einer illegal erworbenen Glock-Pistole, nachdem er den Anschlag ein Jahr lang geplant hatte. Am 24. Juli ermordete ein Immigrant aus Syrien eine schwangere Frau und verletzte zwei weitere Personen mit einer Machete. Am selben Tag versuchte ein Syrer, dessen Ausweisung nach Bulgarien verzögert worden war, eine Bombe in eine Musikveranstaltung in Ansbach in Bayern einzuschmuggeln. Er wurde jedoch nicht hereingelassen, weil er keine Eintrittskarte hatte; also sprengte er sich außerhalb des Festivalgeländes in die Luft und verletzte dabei 15 Menschen.
Die terroristischen Anschläge waren nicht annähernd vom selben Ausmaß wie die Anschläge in Paris und Nizza in Frankreich. Trotzdem sackte Frau Merkels Beliebtheit schlagartig noch mehr ab, nachdem sie nach dem Brexit wieder leicht angestiegen war. Im Gegensatz dazu stieg die Beliebtheit von Horst Seehofer, dem bayrischen Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden der CSU.
Merkel’s popularity plunges after July terrorist attacks https://t.co/wzXALUvWQD pic.twitter.com/h09Lxs62yg
— WSJ Graphics (@WSJGraphics) August 6, 2016
Wer könnte ihr nachfolgen?
Bei alledem steht nach Frau Merkels langer Regierungszeit nicht ein einziger Politiker zur Verfügung, der ihre Nachfolge antreten könnte. Horst Seehofer kann den Job nicht übernehmen. Er hat gut daran getan, Frau Merkel zu kritisieren, aber Politik kann sich nicht nur auf Anklagen stützen. Der Vorsitzenden der im Aufstieg begriffenen AfD, Frauke Petri, trauen nicht einmal die Anhänger ihrer eigenen Partei und die Beliebtheit der AfD kommt hauptsächlich von Protestwählern. Der Veteran Edmund Stoiber hat ein Comeback abgelehnt. Er sagt, er sei zu alt und fühle sich wohl dabei, stattdessen auch weiterhin Frau Merkel in den Bierhallen „zu verprügeln“.
Angela Merkel wird nicht einfach zurücktreten, denn sie ist eine brillante Politikerin – möglicherweise eine der größten unserer Zeit. Der CDU-Politiker Rainer Eppelmann, der nach dem Fall der Berliner Mauer Frau Merkel nahestand, sagte: „Ich habe den Eindruck, dass sie die Dinge sehr sorgfältig überdenkt und ihren Gegnern immer ein paar Schritte voraus ist.”
Die Kanzlerin ignoriert Deutschlands Probleme durchaus nicht. Ein alterfahrenes Mitglied ihrer Regierung beschreibt sie als den „besten Analytiker in einer gegebenen Situation, den man sich nur vorstellen kann.“ Aber dieses Mal hat sie sich entschieden, gegen die öffentliche Meinung zu handeln.
Wir werden Zeugen des Verfalls von Frau Merkels Beliebtheit. Als nächstes wird jemand auftauchen, der dem Volk das gibt, was es will: einen Mann für Notfälle. Deutschland will jemanden, der in der Öffentlichkeit „Klartext“ spricht. Die Trumpet hält schon seit Jahren Ausschau nach so einem Mann. Lesen Sie Deutschland, die politische Krise und Supermann um mehr Einzelheiten zu erfahren. Der Abstieg von Kanzlerin Merkel ist unvermeidlich. Aber was als nächstes kommt, wird viel dramatischer und gleichermaßen unvermeidlich sein. ▪