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Deutschlands fragwürdiges Abkommen mit der Türkei
Anfang des Monats verhandelte Bundeskanzlerin Angela Merkel ein neues Abkommen mit der Türkei mit dem Ziel, die Flüchtlingskrise endlich zu lösen. Auf den ersten Blick scheint das Kernstück des Abkommens äußerst sinnvoll: Jeder Migrant, der von der Türkei nach Griechenland illegal übersetzt – wie die überwiegende Mehrheit der Migranten zurzeit –, wird automatisch zurück in die Türkei geschickt. Im Gegenzug für jeden Migranten, der in die Türkei zurückgeführt wird, nimmt die Europäische Union einen Migranten aus einem Flüchtlingszentrum in der Türkei auf.
Das Problem ist, dass diese Abmachung illegal ist.
Zum großen Teil liegt das an der europäischen Menschenrechtskonvention. Sie ist, ganz offen gesagt, dämlich. Schon lange stört es die Menschen in Großbritannien, dass sie Gewalttäter nicht abschieben können, nicht einmal Terroristen , weil sie im Rahmen der Europäischen Konvention für Menschenrechte bestimmte Rechte haben.
Die EU sagt den Flüchtlingen derzeit: Macht euch auf die gefährliche und illegale Überfahrt nach Griechenland, verkauft alles, was ihr habt, und gebt es kriminellen Banden, die euch über die Grenze schmuggeln, dann nehmen wir euch auf. Kanzlerin Merkels Abkommen würde folgende Botschaft senden: Wenn ihr Europa illegal erreicht, senden wir euch zurück. Spielt ihr nach den Regeln und lasst ihr euch in der Türkei als Flüchtlinge registrieren, nehmen wir euch womöglich sogar auf. Zu behaupten, die derzeitige Politik der EU sei besser, freundlicher oder moralischer als Merkels Ansatz, ist lächerlich. Aber die derzeitige Politik ist rechtlich sauberer.
Die sich mit Asylbewerbern befassende EU-Richtlinie besagt, dass die EU einem Flüchtling nur dann Asyl verweigern und ihn in sein Herkunftsland zurückschicken kann, wenn er aus einem „sicheren Herkunftsland“ in die EU eingereist ist. Diese Richtlinie enthält einige spezifische Bedingungen, die ein Land erfüllen muss, um als sicheres Drittland zu gelten. Die Türkei erfüllt diese Bedingungen nicht. Sie erfüllt sie nicht, weil sie Flüchtlinge in das Land zurücksendet, aus dem sie kamen, und weil sie kein vollwertiges Mitglied der Genfer Flüchtlingskonvention ist.
„Es liegt eigentlich auf der Hand, dass die Türkei nach den Regeln der EU selbst nicht als sicheres Drittland angesehen werden kann“, schrieb Duncan Robinson auf seinem Blog bei der Financial Times . Somit wäre der Plan der Kanzlerin, Flüchtlinge zurück in die Türkei zu senden, illegal.
„Kurz gesagt, die EU hat zwei Möglichkeiten: darauf hoffen, dass die Türkei ein funktionierendes Asylsystem einführt – oder die Augen verschließen, sich die Ohren zuhalten und die Entscheidung durchwinken“, schloss er. „Die Regeln sind klar und es gibt wenig Raum für rechtliche Verrenkungen.“
Das soll nicht heißen, dass das EU-Recht das Gelbe vom Ei ist. Aber wird geltendes Recht ignoriert, egal wie schlecht es ist, gibt das grundsätzlich Anlass zur Sorge.
Aber es kommt noch schlimmer. Im Rahmen dieses Abkommens biedert sich die EU einem der schlimmsten Anführer eines großen Landes der Welt an. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist die Art machtgewaltiger Politiker, den die EU-Beamten zu hassen liebten. Er geht scharf gegen die freie Presse vor und sperrt politische Gegner ins Gefängnis. Sein Angriff auf die Kurden, der einzig dem Zweck dient, politisch zu punkten, gehört zu den zynischsten Machenschaften unserer Zeit.
Nur wenige Tage bevor Merkel ihr Abkommen vereinbarte, schlossen türkische Behörden die größte Tageszeitung des Landes, Zaman, und verhafteten ihre Journalisten. Am Montag vergangener Woche setzte die Regierung ihren Kurs fort und schloss die Nachrichtenagentur Cihan. Nun ist alles, was in der Türkei von einer freien Presse bleibt , eine Handvoll kleiner Medienanstalten.
In der Vergangenheit hätte die Türkei für diese Taten Sanktionen zu fürchten gehabt. Stattdessen zerlegt sie nun dreist ihre freie Presse, praktisch während sie mit der EU verhandelt. Die EU unterstützt diese Maßnahmen durch die fortgesetzte Zusammenarbeit mit Erdoğan. Im Rahmen des vereinbarten Abkommens verlangt die Türkei weitere 3 Milliarden EURO und Visafreiheit bei der Einreise in die EU für ihre Bürger ab Juni.
Die EU arbeitet nicht nur mit diesem Autokraten zusammen, sie stützt ihn auch noch. Im vergangenen Jahr erarbeitete die EU einen äußerst kritischen Bericht über Erdoğan. Die Veröffentlichung wurde auffällig bis nach den Wahlen in der Türkei im November 2015 verzögert.
Damals sah es höchst verdächtig aus, aber der unwiderlegbare Beweis wurde schließlich letzten Monat gefunden. Das Protokoll eines Treffens zwischen Erdoğan, dem Präsidenten der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker und dem Präsidenten des Europäischen Rates Donald Tusk sickerte durch. Die drei Männer versuchten, ein Abkommen mit der Türkei im Blick auf die Flüchtlingskrise zu verhandeln. Erdoğan wollte mehr Geld. Nach einer längeren Diskussion sagte Juncker: „Bitte bedenken Sie, dass wir die Veröffentlichung des Fortschrittsberichts bis nach den türkischen Wahlen verschoben und uns dafür Kritik eingehandelt haben.“ Er räumte ein, dass die EU-Chefs den kritischen Fortschrittsbericht bewusst bis nach den Wahlen verzögert hatten. Er sagte im Wesentlichen: Wir halfen Ihnen, die Wahl zu gewinnen. Jetzt möchten wir bitte etwas im Gegenzug erhalten.
Es geht hierbei nicht darum, Verhandlungen mit fragwürdigen Menschen zu verurteilen. Manchmal können diese erforderlich sein. Die Zusammenarbeit der Vereinigten Staaten und Großbritanniens mit Josef Stalin im Zweiten Weltkrieg ist hierfür ein klassisches Beispiel. Aber das ist nicht die Art und Weise, wie die EU in der Regel funktioniert. Vor ein oder zwei Jahren wäre diese Art von Geschäft für die EU undenkbar gewesen. Genau wie bei dem europäischen Ansatz für Menschenrechte ist es die Veränderung, die von Bedeutung ist, unabhängig davon, ob die einzelnen Handlungen in sich selbst richtig oder falsch sind.
Natürlich soll das nicht heißen, dass die EU niemals zuvor heuchlerisch gehandelt hätte. Immerhin ist dies eine Organisation, die ständig davon spricht, die Welt zu verbessern, während zur gleichen Zeit ihre Handelspolitik, die den Kern der Union ausmacht, Landwirten in einigen der ärmsten Regionen der Welt ihr Geschäft ruiniert . Heuchelei steckt in ihren Genen.
Aber es ist eine ganz bestimmte Art von Heuchelei. Nach Ansicht von EU-Beamten ist ihre Organisation dem Rest der Welt moralisch überlegen wegen der Menschenrechte, die sie befolgen. Das Befolgen dieser Regeln kann gut und gerne mehr Schaden anrichten als die Politik anderer Länder wie Amerika oder Australien, aber das spielt für diese Beamten keine Rolle – es zählt einzig die Tatsache, dass sie sie befolgen, das begründet ihre Überlegenheit.
Was nun geschieht, ist anders. Dieses Abkommen läuft der multikulturellen, menschenrechtsliebenden Identität der EU zuwider.
Und um die Sache noch schlimmer zu machen, wird das Abkommen nicht funktionieren. Das Abkommen, das die EU im vergangenen Jahr mit der Türkei ausgehandelt hatte, ist gescheitert. Je länger die Flüchtlingskrise andauert, desto mehr Zugeständnisse kann die Türkei herausholen. Sie hat geringen Anreiz, die Krise zu lösen.
Dieses Mal könnte Europa darin versagen, seinen Teil der Abmachung einzuhalten. Merkel hat das Abkommen mit der Türkei ausgehandelt, aber andere europäische Länder haben noch nicht zugestimmt. Die EU-Chefs hatten einen ganz anderen Vorschlag für die Türkei vorbereitet, als Merkel in letzter Minute mit diesem sehr viel ehrgeizigeren Abkommen überraschend eingriff. Laut der Financial Times verhandelte Merkel dieses Abkommen mit der Türkei gemeinsam mit dem niederländischen Premierminister Mark Rutte hinter dem Rücken ihrer EU-Kollegen.
„Sowohl Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, als auch Donald Tusk, der Präsident des Europäischen Rates, wurden fast völlig ins Abseits gedrängt, als am Sonntag das Abkommen vereinbart wurde“, schrieb die Denkfabrik Open Europe . „Berichte deuten darauf hin, dass andere EU-Diplomaten schockiert waren, dass auch sie übergangen worden waren.“ Den anderen EU-Ländern gefällt es wahrscheinlich nicht, wieder einmal von Deutschland herumkommandiert zu werden, und diesmal ist Merkel womöglich nicht in der Lage, eine Zusammenarbeit zu erzwingen.
Es wird unglaublich schwierig werden, alle EU-Staaten davon zu überzeugen, zu den Bedingungen mitzumachen, die Merkel der Türkei angeboten hat. Europäische Politiker stehen unter starkem Druck vonseiten der Einwanderungsgegner. Die freiwillige Aufnahme von Migranten würde eine Wahlkatastrophe garantieren. Den Türken die visumfreie Einreise zu ermöglichen, ist auch sehr unbeliebt. Man befürchtet, dass dies die Zahl der aus der Türkei in die EU kommenden Asylbewerber drastisch erhöhen würde .
Auch wenn Deutschland den Rest der EU an Bord bekommt, könnte es sein, dass es nicht in der Lage sein wird, das Abkommen umzusetzen. Andere Vereinbarungen zur Verlegung von Flüchtlingen aus einem Land in ein anderes sind komplett gescheitert.
Sollte dieses Abkommen scheitern, was folgt als Nächstes?
„Das Europa der Nachkriegszeit wurde auf die Werte der Zusammenarbeit und des Miteinanders gebaut“, schrieb Trumpet-Magazin-Kolumnist Brad Macdonald , als die Flüchtlingskrise im vergangenen Jahr zuzunehmen begann.
Europa wurde als aufgeklärt, multikulturell und tolerant konzipiert und positioniert sich als die moralische Autorität der Welt. Der Krieg wird verabscheut, die Umwelt und Menschenrechte werden verteidigt und die internationale Zusammenarbeit wird geschätzt. [...]
Die vielleicht größte Auswirkung der Flüchtlingskrise besteht neben dem dramatischen Wiederaufleben Russlands und Europas zunehmenden finanziellen Problemen wohl darin, dass sie dafür sorgt, dass Europa seine Nachkriegsfassade ablegt und zu seiner Vergangenheit zurückkehrt. Tolerant zu sein, fühlt sich gut an, bis Hunderttausende Ausländer in ein Land strömen und erwarten, dass die Einheimischen die Rechnung bezahlen. Multikulti ist wunderbar, bis sich Muslime – die Fahne des Islamischen Staates schwenkend und Töchter im Teenager-Alter beäugend – im eigenen Dorf niederlassen. [...]
Europa ist zurzeit ein Ort, an dem Träume der Wirklichkeit zu begegnen beginnen.
Dies sehen wir in Deutschlands Abkommen mit der Türkei: die ersten großen Anzeichen dafür, dass Europa seine „Nachkriegsfassade“ ablegt. Schlägt das Abkommen fehl, wird die Situation noch dramatischer, die EU zu noch verzweifelteren Maßnahmen gedrängt – und die linke, menschenrechtsliebende, multikulturelle EU, die wir heute kennen, wird zunehmend zu etwas ganz anderem. ▪