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Deutschlands Identitätskrise führt zu einem Aufstieg der extremen Rechten
Das folgende ist ein Artikel, den wir schon einmal veröffentlicht haben. Doch aufgrund der bevorstehenden Wahlen glauben wir, dass es sinnvoll wäre, ihn noch einmal zu lesen:
In einer Welt der Ungewissheit und der Krise braucht Deutschland vieles: Einen starken Anführer. Stärkere Streitkräfte. Stärkere Grenzen. Eine stabile Wirtschaftslage in der Eurozone. Aber die Deutschen brauchen noch etwas Anderes und schreien geradezu danach: Eine Identität.
In dem Artikel „Deutschlands Tabus, einst ein Bollwerk gegen die extreme Rechte, könnte sie jetzt ermöglichen“, schrieb die New York Times:
Seit dem zweiten Weltkrieg war es ein Tabu zu versuchen, die deutsche nationale Identität zu präzisieren, geschweige denn sie zu feiern. Wenn man das tat, wurde das als möglicher Schritt in Richtung des Nationalismus angesehen, der einst das Naziregime möglich machte. Flaggen, wie auch das Singen der Nationalhymne im Stehen waren verpönt.
Angespornt durch ein Gefühl, dass die Kontrolle über die Grenzen, die Wirtschaft und die Politik des Landes verloren gegangen ist, suchen viele Deutsche nach einer gemeinsamen Identität, finden aber nur leeren Raum vor.
Die Trumpet warnte bereits 2014 vor diesem leeren Raum („Deutschlands Identitätskrise“). Brad Macdonald schrieb: „Bedeutende Veränderungen auf der Weltbühne – der islamische Staat, Russlands Übergriff auf die Ukraine, Libyen, Amerikas Rückzug, Europas Schuldenkrise, etc., etc. – zwingen das deutsche Volk und seine führenden Politiker, einige fundamentalen Fragen neu zu überdenken: Was ist Deutschland? Was ist Deutschlands Rolle in Europa und in der Welt des einundzwanzigsten Jahrhunderts?“
Herr Macdonald erklärte, dass Deutschlands Identität in der Nachkriegszeit bis vor kurzem nur aus Pazifismus, dem Fehlen militärischer Macht und aus Multilateralismus bestand. Aber in der heutigen Welt ist das nicht länger eine brauchbare Option. Was also bleibt von Deutschlands nationaler Identität? „Deutschland erlebt gerade eine Identitätskrise“, schreibt er abschließend. „Die Deutschen sehen sich gezwungen zu erkennen, dass sie mit Demut und Passivität schlecht beraten sind, mehr noch, sie sind sogar gefährlich in einer immer unsicherer und gewalttätiger werdenden Welt, die zusehends in Anarchie versinkt.
Wir müssen Deutschland im Auge behalten, wie es durch diese Identitätskrise durchkommt“, schrieb er. „Dies erweckt eine neue deutsche Nation: eine Nation, die viel aktiver und aggressiver ist als wir es gewohnt sind; eine Nation, die ein aggressives, politisches und militärisches Machtzentrum ist.“
Die New York Times warnte, dass nur die neu gegründete Partei ‚Alternative für Deutschland (AfD) gewillt ist, über die deutsche Identität zu reden:
Nur die AfD, deren Populismus sie weit außerhalb der etablierten politischen Normen ansiedelt, verspricht offen, den Wunsch nach Patriotismus zu erfüllen, der in den meisten anderen Ländern ganz selbstverständlich ist. Die Folge davon ist, dass eine soziale und politische Norm, die eigentlich dazu dienen sollte, die extreme Rechte zu unterdrücken, diese jetzt nur noch verstärkt. Die AfD konzentriert ihre Aufmerksamkeit auf diese nationale Identität und gestaltet dadurch den nationalen Diskurs zu ihrem Vorteil. Auch wenn sie vielleicht nicht genug Stimmen bekommt, um das Land zu regieren, so kann sie sich doch als Verfechterin der Interessen des deutschen Normalbürgers präsentieren.
Die vielen Flüchtlinge, die in den letzten Jahren in das Land geströmt sind, haben besonders viel Stress verursacht, wie die Professorin Ruth Ben-Ghiat sagte: „In Deutschland ist es nicht einmal erlaubt zu sagen, dass man stolz darauf ist, ein Deutscher zu sein. Man muss sagen, dass man Europäer ist“, sagte sie. „Wenn nun diese Leute ins Land kommen, was finden sie hier vor?“
Wenn die Leute einen Kontrollverlust feststellen, suchen sie eine stärkere Bindung zu einer Gruppenidentität und sind eher daran interessiert, ihre Gruppe mächtiger zu machen, sagte Professor Fritsche. Er habe das in seinen Untersuchungen herausgefunden. Die etablierten Parteien Deutschlands geben diesem Wunsch wegen der politischen Tabus nur ungern nach. Die AfD hat das jedoch sehr geschickt für sich ausgenutzt.
Das ist ein wichtiger Grund für den kometenhaften Aufstieg der AfD. Im September 2013 waren die deutschen Zeitungen voller Warnungen, dass die Parlamentswahlen das politische System Deutschlands auf den Kopf stellen könnte. Der Grund: Eine ganz neu gegründete Partei könnte fünf Prozent aller Stimmen bekommen und so ein Stimmrecht im deutschen Bundestag erhalten. „Die Partei der Euroskeptiker ‚Alternative für Deutschland‘ lehrt dem Rest das Fürchten“, war die Schlagzeile in der Times.
Seitdem ist die AfD immer stärker geworden:
• 25. May 2014: Die AfD erreichte 7,1 Prozent im Europäischen Parlament und damit ihre ersten parlamentarischen Sitze.
• 31. Aug. 2014: Die AfD erreichte 9,7 Prozent bei den Landtagswahlen in Sachsen und erhielt erstmals Sitze in einem deutschen Landtag.
• 14. Sept. 2014: Die AfD erreichte 10,6 Prozent der Stimmen in Thüringen und 12,2 Prozent in Brandenburg.
• 15. Feb. 2015: Die AfD erreichte 6,1 Prozent der Stimmen in Hamburg, ihr erster Erfolg in einem westdeutschen Landesparlament.
• 10. Mai 2015: Die AfD erreichte 5,5 Prozent der Stimmen in Bremen, ein anderes westdeutsches Bundesland.
2015 gab es nur wenige Wahlen in den Bundesländern, deshalb war es schwierig, die Fortschritte der AfD abzuschätzen. Allerdings schlug die Flüchtlingskrise in diesem Jahr besonders hart zu und die AfD war die einzige Partei, die bereit war, über Einwanderung und Identität zu reden, während die etablierten Parteien lieber nicht über diese Themen reden wollten. „Die Flüchtlingskrise stürzt Europa in eine umgestaltende Identitätskrise“, schrieb Brad Macdonald in ‚Europas alte Dämonen kehren zurück‘. „Es gibt da noch einen anderen wichtigen Aspekt dieser Krise, der nicht einmal annähernd genügend Beachtung gefunden hat. Das sind die Auswirkungen, die die Flüchtlingskrise auf Europa hat und vermehrt haben wird … Europa leidet unter einer umgestaltenden Identitätskrise.“
Seit dieser Artikel Ende 2015 geschrieben wurde, sagen die Wahlergebnisse alles:
• 13. März 2016: Die AfD wurde drittstärkste Partei bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, mit jeweils 12,6 und 15,1 Prozent, weit über das Doppelte seiner bisherigen Unterstützung in Westdeutschland. Bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt am selben Tag wurde die AfD zweitstärkste Kraft, mit 24,2 Prozent der Stimmen.
• 4. Sept. 2016: Die AfD wurde mit 20,8 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und überholte Kanzlerin Angela Merkels Partei in ihrem eigenen Wahlkreis.
• 18. Sept. 2016: Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus erreichte die AfD 14,2 Prozent.
„Zumindest in Berlin wurde das deutsche politische System erschüttert“, beobachtete George Friedman von der „Geopolitischen Zukunft“ nach den Berliner Landtagswahlen. Wenn die Berliner Wahlergebnisse sich auf Bundesebene wiederholen, dann wird Deutschland unregierbar werden … Wenn dieses Ergebnis zum Nennwert genommen wird, dann zeigt uns das, dass Deutschland, das Fundament Europas, sich auf eine politische Krise zubewegt, die großen Widerhall haben wird“ (20. September 2016; Hervorhebung durchgehend hinzugefügt).
Die AfD scheint sich jetzt immer mehr auf die verlorene Identität Deutschlands zu berufen. Die New York Times schreibt weiter:
Voll zur Schau gestellt wurde diese Strategie am Abend des siebzehnten Januars in einem Bierkeller in Dresden, dem Zentrum von Deutschlands extremer Rechten. Hunderte von Anhängern der AfD hatten sich versammelt, um eine Rede von Björn Höcke, einem der schnell aufgestiegenen Persönlichkeiten der Partei, anzuhören … Was er sagte, wich stark von den Normen der deutschen Politik ab.
Die Deutschen sind „das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“, sagte er. Das war ein kaum verschleierter Hinweis auf das Holocaustmahnmal in Berlin. Der Gemütszustand der Deutschen wäre der „eines total besiegten Volkes“, meinte er. Es sei jedoch an der Zeit, dass das Land seine Geschichte akzeptierte und eine positive Beziehung zu seiner Identität entwickelte.
Der tosende Beifall der Menge war eine lautstarke Kundgebung davon, wie sich ein begeisternder Verstoß gegen die Regeln in einer Gesellschaft anfühlt, die sich sonst so streng an ihre Regeln hält.
„Identität ist die Grundlage dafür, dass man Fortschritte macht“, sagte Herr Höcke später in einem Interview. …
Herr Höcke ist auch in seiner eigenen Partei ein Extremist und seine Rede löste eine Gegenreaktion bei der obersten Parteiführung der AfD aus. Aber seine Botschaft zeigt, wie attraktiv die Partei bereits geworden ist: Sie sagt den Deutschen, dass sie einen Nationalstolz besitzen sollten. Diese Aussage konnte in Deutschland nur von einer politischen Randbewegung kommen.
Der Artikel erklärte, wie diese Taktik der AfD die deutsche Politik immer weiter nach rechts verschiebt, weil die anderen Parteien versuchen, den Erfolg der AfD nachzumachen:
Die Kanzlerin Angela Merkel kündigte im Dezember ihre neuerliche Kandidatur mit einem populistischeren Wahlprogramm an. Sie bezog in Hinsicht auf die Einwanderung einen härteren Standpunkt, forderte ein Verbot der islamischen Vollverschleierung des Gesichts und sagte, „das gehöre nicht zu Deutschland“ und sollte „verboten sein, wo immer das rechtlich möglich sei.“
Und auch wenn sie die AfD nicht direkt erwähnte, so versuchte sie doch ausdrücklich, das Thema Identität für sich aufzuarbeiten, denn sie sagte, wer „das Volk ist, das bestimmt immer noch das ganze Volk und nicht ein paar Wenige, egal wie laut sie sind.“
Die deutsche Identität wird zum zentralen Thema der deutschen Politik, während sich das Land auf den Wahlkampf vorbereitet. Sie sollten auch weiterhin beobachten, wie sich die Deutschen mit der Frage auseinandersetzen, wer sie sind und wofür sie stehen, denn diese Debatte führt zu einer Rückkehr zu einer eher traditionellen deutschen Identität. Wenn Sie näheres darüber erfahren wollen, wohin das führt, dann lesen Sie den Artikel „Europas alte Dämonen kehren zurück.“ ▪