Vladimir Putin by Global Panorama on flickr/CC by 2.0
Ein neues Buch mit Zitaten Putins erinnert an die finstersten Diktatoren der Geschichte
Zur Feier des neuen Jahres machte die russische Regierung hunderten Würdenträgern ein besonderes Geschenk: ein 400-seitiges Buch „prophetischer“ Zitate des Präsidenten Wladimir Putin.
Das Buch mit dem Titel „Worte, die die Welt verändern“, beinhaltet 19 der bedeutsamsten Reden und Interviews Putins aus den vergangenen 12 Jahren. Hunderte kurzer, für Twitter geeigneter Passagen sind mittels Fettdruck hervorgehoben.
Anton Wolodin, verantwortlich für die Herausgabe des Buches, sagte, Putins Worte seien für russische Politiker hauptsächlich deshalb so wertvoll, weil sie sich oft als prophetisch herausstellten. „Wir haben bemerkt, dass das, was Putin sagt, auf die eine oder andere Weise wahr wird.“„In diesem Buch sind wir seinen Worten nachgegangen und konnten diese Vermutung bestätigen. Putins Worte können durchaus als prophetisch bezeichnet werden .”
Als Putins stellvertretender Stabschef eine Ausgabe des Buches sah, erkor er es zur Pflichtlektüre jedes russischen Politikers aus.
Er kaufte alle 1.500 Exemplare der ersten Auflage und verteilte sie als Neujahrsgeschenk an Politiker im ganzen Land. Dem Buch lag ein Schreiben bei, das besagte, das Buch solle als Orientierung im Blick auf die „Werte und leitenden Prinzipien“ des Kremls betrachtet werden.
Eine weitere Auflage soll später in diesem Monat erscheinen und das Buch für umgerechnet 10 Euro der Öffentlichkeit verfügbar machen. Chinesische und englische Übersetzungen sind geplant.
Die Verteilung dieses Buches ist von besorgniserregender Bedeutung, folgt es doch einem Muster, das uns einige der finstersten Diktaturen der Menschheitsgeschichte hinterlassen haben.
Die Schriften der Sowjets
In den Tagen der Sowjetunion waren sowohl Regierungsmitarbeiter als auch die Öffentlichkeit dazu aufgerufen, sich mit Wladimir Lenins Gesammelten Werken vertraut zu machen.
Diese Bücher gaben dem Leser vor, welche Meinung er zu haben hatte, und behandelten dabei alle möglichen Themen, angefangen bei der Militärwissenschaft über die Industrie und Landwirtschaft bis hin zu der Rolle junger Menschen in der sowjetischen Gesellschaft.
Zwischen 1918 und 1974 veröffentlichten die Sowjets insgesamt 465.714.000 Ausgaben der Gesammelten Werke, mit beständig angepasstem Inhalt, um den sich verändernden Richtlinien der Partei zu entsprechen. Die Große Sowjetische Enzyklopädie besagt, die Bücher „waren eine große Hilfe in der theoretischen Arbeit der Partei und in der Verbreitung des Marxismus-Leninismus.“
Die Mao-Bibel
Dann gab es noch Mao Zedongs sogenanntes Kleines Rotes Buch . Während Chinas Kulturrevolution in den 1960er und 70er Jahren mussten alle Chinesen dieses Buch, das die Ideologie des Vorsitzenden darlegte und erklärte, besitzen und bei sich führen. Forschern zufolge ist die Bibel das einzige Buch, das in größerer Stückzahl verkauft wurde als Maos Buch.
Das Problem dabei ist, dass Maos kommunistische Ideologie den Tod von zwischen 65 und 75 Millionen Menschen zur Folge hatte. Somit ist er für mehr Morde verantwortlich als sonst ein Mensch in der Geschichte der Menschheit. Historiker sind sich einig, dass sein Kleines Rotes Buch eine bedeutende Rolle darin spielte, seine todbringenden Ideen im chinesischen Volk zu verbreiten.
Des Führers Foliant
Vergessen wir nicht Mein Kampf , das Buch, das Adolf Hitler in seiner Zeit im Gefängnis schrieb, bevor er Reichskanzler wurde. Dieses Buch legte Hitlers Pläne für Deutschland dar, bezeichnete die Juden als „rassisch minderwertig“ und als Bedrohung für die „rassisch überlegenen Arier“.
Während Hitlers Herrschaft wurde jedem Soldaten und jedem neu verheirateten Ehepaar eine Ausgabe dieses Buches geschenkt. Die Erlöse aus den Verkäufen des Buches machten Hitler zudem reich. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren deutlich über 10 Millionen Exemplare in Deutschland allein verkauft oder verteilt worden.
Historiker sind sich einig, dass die weite Verbreitung von Mein Kampf dazu beitrug, die Deutschen für Hitlers Sache zu gewinnen, und seinen teuflischen Ideen Vorschub leistete.
Gaddafis Werk
In jüngerer Zeit veröffentlichte Libyens verstorbener Machthaber Muammar al-Gaddafi sein exzentrisches Grünes Buch . Auch als praktisches Handbuch für Diktatoren bezeichnet beschreibt das Buch Gaddafis Gedanken zu allem, angefangen bei den Gefahren politischer Parteien bis hin zur Bedeutsamkeit des Stillens. Ab dem Zeitpunkt seiner Veröffentlichung 1975 bis zu Gaddafis Tod 2011 war dieses Buch die Pflichtlektüre aller Libyer.
Abdul Majid, ein Englischlehrer in der Hauptstadt, sagte, das Werk habe Gaddafi geholfen, Libyen in seinem eisernen Griff zu halten, und es habe dem Land immensen Schaden zugefügt: „Das Grüne Buch war ein Desaster für Libyen. Es führte das Land in den miserablen Zustand, in dem es sich aktuell befindet.“
Nyýazows Nonsens
Abschließend kommen wir auf Turkmenistans verstorbenen aber nicht betrauerten Diktator Saparmyrat Ataýewiç Nyýazow zu sprechen. Von 1985 bis zu seinem Tod im Jahre 2006 regierte Nyýazow in Turkmenistan und betrieb dabei einen Persönlichkeitskult, neben dem der Josef Stalins verblasste. 2004 veröffentlichte er Ruhnama (Das Buch der Seele), das seine religiösen Vorschriften mit revisionistischer turkmenischer Geschichte und zahlreichen Ausflügen in die Politik und Philosophie verband.
Nyýazow behauptete, die Ruhnama sei eine heilige Schrift und auf einer Ebene mit dem Koran. Mittels seines äußerst repressiven Staatsschutzes machte er das Buch zur Pflichtlektüre auf allen Ebenen der Bildung – oft um den Preis von Fächern wie Mathematik oder Wissenschaft. Nyýazow ließ sogar Fragen zu seinem Buch in Bewerbungsgesprächen, Prüfungen für den Staatsdienst und die nationale Führerscheinprüfung aufnehmen.
Nyýazow ließ zudem eine Ausgabe der Ruhnama aus der Luftschleuse eines russischen Spaceshuttles abwerfen, um den Turkmenen verkünden zu können, er habe „das Weltall erobert“. 2006 sagte Nyýazow, er habe einen Pakt mit Gott geschlossen, der garantiere, dass jeder, der sein Buch dreimal lese, automatisch in den Himmel gelange.
Zurück auf der Erde
Die Entscheidung, das neue Buch mit Zitaten Wladimir Putins herauszugeben und zu verbreiten, folgt einem Muster, das uns einige der finstersten und bizarrsten Diktaturen der Geschichte hinterlassen haben.
Autoritäre Herrscher bezeichnen sich oft als die höchste Quelle der Weisheit für ihr Land. Sie glauben, dass sie durch die Unterbeweisstellung ihrer Weisheit ihre Machtfülle legitimieren können. Für viele erwies sich das Schreiben von Büchern – und die Forderung an ihre Untergebenen, dieses Buch als heilige Schrift anzuerkennen – als erfolgreicher Weg, dieses Ziel zu erreichen.
Es ist unwahrscheinlich, dass das neue Buch mit Zitaten Wladimir Putins dazu verwendet werden wird, zu beweisen, er sei der König des Weltalls, oder um einen Völkermord zu rechtfertigen. Können wir uns jedoch auf die Geschichte verlassen, könnte das Buch sich als Werkzeug herausstellen, dass ihn darin unterstützt, seine Volksgenossen zu indoktrinieren, seine Opposition zum Schweigen zu bringen und seine Macht zu festigen. ▪