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Justinian und die Restauration des Römischen Reiches (Zweiter Teil)
Fortgesetzt von Justinian und die Restauration des Römischen Reiches (Erster Teil)
Die Wiederherstellung der päpstlichen Autorität
Das gemeinsame Bemühen, das Land von Ketzern und Heiden zu säubern, verhalf der unter Konstantin begonnenen Kirche-Staat-Gemeinschaft eine feste Form zu geben. „Der Prozess der Integration von Kirche und Staat, von Konstantin begonnen, wurde solange fortgesetzt, bis die beiden unzertrennlich geworden waren“, schrieb Paul Johnson in A History of Christianity (Geschichte des Christentums). „Das Byzantinische Reich wurde faktisch zu einer Theokratie, wobei der Kaiser priesterliche und halbgöttliche Funktionen innehatte und die orthodoxe Kirche als ein staatliches Ressort für geistliche Angelegenheiten zuständig war.“
Kaiser Justinian stellte auch die Führung der Römisch-Katholischen Kirche wieder her, somit auch die höchste Autorität des Papstes. Eines der wesentlichen Ziele von Justinians Kirchenpolitik war von Anfang an, eine enge Verbindung mit dem Papst in Rom einzugehen, der trotz der Unterwerfung Roms durch die Goten weitgehend als das Oberhaupt der Kirche angesehen wurde.
Justinian wusste, dass er die Unterstützung des Bischofs von Rom brauchte, um das Römische Reich wiederherzustellen. In einem seiner Briefe an den Papst redet Justinian ihn als das „Oberhaupt aller heiligen Kirchen“ an. In einem seiner Schreiben stellt Kaiser Justinian fest, dass „das höchst gesegnete Bistum von Konstantinopel, das neue Rom, gleich an zweiter Stelle nach dem heiligsten apostolischen Stuhl des Alten Roms käme“ (Alexander Vasiliev, History of the Byzantine Empire – Die Geschichte des byzantinischen Reiches).
Der Bischof von Rom hatte die Gelehrten und die Gelehrsamkeit des Römischen Reiches geerbt. Paul Johnson erklärt: „Die Tatsache, dass das Bistum von Rom eine genaue und verbindliche Liste aller Heiligen, die wissenschaftlichen Daten für den genauen Kalender und ein Referenzsystem besaß mit Experten für alle Fragen, die die Kirchendoktrin, die kirchlichen Praktiken und Lehrfächer betrafen, war ein unermesslicher Vorteil im Umgang mit den Bistümern überall im Westen; deren Blick war zunehmend auf Rom gerichtet, nicht nur, weil sie den heiligen Petrus und sein Grab verehrten, sondern weil Rom die Antworten auf ihre Fragen wusste“ (op.cit.).
Justinian war Kaiser im Osten, aber die höchste religiöse Autorität residierte inmitten der sieben Hügel von Rom!
Die Religion im Gesetz
Der Einfluss des Katholizismus auf Justinians Imperium ging weit über die Religion hinaus. Nachdem der Kaiser den Katholizismus als Staatsreligion wiedereingesetzt hatte, schickten er und die Kirche sich an, gemeinsam die Gesetze des Landes festzulegen.
„Während des vierten Jahrhunderts wurde die Kirche zunehmend in den Gesetzgebungsprozess eingebunden“, schreibt Johnson. „Ein großer Teil der ersten großen Gesetzessammlung, der Theodosianische Kodex aus der Mitte des fünften Jahrhunderts, war ein Werk der Kirche. Es gab allerdings auch noch keine Unterscheidung zwischen weltlichem und kirchlichem Recht; im Verwalten und Übermitteln des einen Rechts machte die Kirche automatisch auch das andere bekannt“ (op.cit.).
Zwischen 529 und 534 n. Chr. erließ Justinian eine Staatsverfassung für sein wiederbelebtes Römisches Reich. Dieses allumfassende Dokument wurde Corpus Juris Civilis genannt, auch bekannt als Codex Justinian. Basierend auf den Gesetzen Roms, waren die Gesetze größtenteils von der katholischen Kirche verfasst. Diese neuen Rechtsnormen erhoben den römischen Katholizismus auf das Niveau einer Staatsreligion und verboten jede andere Art religiöser Praktiken und Versammlungen.
Es verankerte auch die strategische Beziehung zwischen Papst und Kaiser in einem rechtlichen Rahmen. Der Papst proklamierte den Kaiser als den einzigen wahren Herrscher des Römischen Reiches und im Gegenzug verteidigte der Kaiser die Römisch-Katholische Religion gegen alle Bedrohungen von außen.
Dieses römische Gesetzeswerk wurde zum rechtsgültigen Grundpfeiler von Justinians Reich – und von allen Heiligen Römischen Wiederauferstehungen, die danach folgten.
Sogar noch heute hat die Europäische Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit ihre Wurzeln im Codex Justinian. „Seit mehr als 2.000 Jahren hat das römische Recht die Geschicke der zivilisierten Nationen und auch vieler barbarischer Völker in der Welt gelenkt“, schrieb Cary R. Alburn, ein Rechtsanwalt von der Ohio Bar in der Zeitschrift American Bar Association Journal. „Seit der Zeit der Magna Charta wurde das Rechtswesen von zwei großen Rechtssystemen beherrscht, dem römischen und dem englischen.“ Er fasste Justinians Werk mit den Worten zusammen: „Diese Zusammenstellung durch Justinian fasste das römische Recht während der vorangegangenen tausend Jahre zusammen und formte die Grundlage für die meisten der später gültigen Gesetzbücher der ganzen Welt.“
Aber denken Sie daran: Kaiser Justinians Fundament wurde weitgehend von der Katholischen Kirche errichtet!
Die Rückeroberung Roms
Der katholische Einfluss durchdrang jeden Teil von Justinians Regierung, sogar dessen Außenpolitik. Justinians Gesetze ermöglichten die Ausbreitung des Katholizismus innerhalb seines Reiches, aber er trachtete danach, diesen auch außerhalb seiner Grenzen zu verbreiten. „Zum ersten Mal in der römischen Geschichte wurde die Bekehrung heidnischer Könige als eine Priorität für den Staat gesetzlich
festgeschrieben“, schrieb Tom Holland (op.cit.).
„Natürlich hatte die Kirche schon seit ihrer Gründung den Ehrgeiz, das Kreuz auch in die entferntesten Gegenden der Welt zu bringen“, schrieb Holland weiter. „Dass jedoch der römische Staat verpflichtet war, an dieser Mission
mitzuwirken, war eine noch rigorosere Dreistigkeit.“
In dem Jahr nachdem Justinian die Kodifizierung seiner neuen Verfassung fertiggestellt hatte, wandte er sich der Rückeroberung des Herrschaftsraumes des ehemaligen Römischen Reiches zu. Nachdem er nun den römischen Katholizismus zur offiziellen Religion seines Reiches gemacht hatte, war es unbedingt erforderlich, dass der Hauptsitz dieser Religion, Rom, Teil seines Reiches war.
Im Jahr 535 n. Chr. kam es zu inneren Unruhen im ostgotischen Reich, das über Italien herrschte. Kaiser Justinian entschied, sich diesen Aufstand zu Nutze zu machen und einen Krieg zu beginnen, um das Reich wieder zu vereinigen. Als der Papst von Rom ihm seine politische Unterstützung anbot, entsandte er eines seiner Heere unter der Führung seines begabtesten Generals, Belisar, in den Süden Italiens. Nach fünf Jahren war der König der Ostgoten, Witichis, gefangen genommen und fast ganz Italien erobert. Die Ostgoten sammelten sich noch einige Male aufs Neue; am Ende jedoch wurde die blutdurchtränkten Gewänder des letzten ostgotischen Anführers nach Konstantinopel geschickt und Justinian als sichtbarer Beweis für seinen Sturz zu Füßen gelegt.
Nach fast zwanzig Jahren Kriegsführung hatte Kaiser Justinian sowohl Italien als auch Dalmatien und Sizilien zurückerobert – und das Römische Reich wieder auferstehen lassen.
Im Jahr 554 n. Chr. machte Kaiser Justinian diese imperiale Restauration oder Reichserneuerung mit einem kaiserlichen Edikt offiziell, bekannt als Pragmatische Sanktion. Dieses Edikt restituierte alle Gebiete, die die Ostgoten von der Römisch-Katholischen Kirche genommen hatten, wieder unter die Verwaltung des Vatikans. Es gab auch dem Papst und seiner vatikanischen Hierarchie alle Rechte, Vollmachten und Privilegien zurück, die sie vor der barbarischen Invasion Roms genossen hatten. Beide Hälften des Reiches waren nun vereinigt. Zum ersten Mal in der Geschichte herrschte die Römisch-Katholische Kirche über den Staat, anstatt dass der Staat die Kontrolle über die Kirche ausübte. Die von den Ostgoten zugefügte tödliche Wunde war geheilt und die erste Auferstehung des „Heiligen“ Römischen Reiches hatte ihren Anfang genommen (siehe „Die tödliche ‚Wunde‘“ auf Seite 174). ▪
Fortgesetzt in Justinian und die Restauration des Römischen Reiches (Dritter Teil)