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Verbündet sich Deutschland mit Russland gegen Amerika?
Wichtige deutsche Führungskräfte wünschen sich, die Sanktionen gegen Russland zu beenden. Das wirkt womöglich wie eine kleine Nachricht aus dem Wirtschaftsteil, es könnte jedoch den Anfang eines größeren Zerwürfnisses zwischen Europa und Amerika und des deutschen Austritts aus dem westlichen Sicherheitsbündnis markieren.
Die europäischen Sanktionen gegen Russland müssten im Juli verlängert werden. Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten hatten die Sanktionen verhängt, nachdem Russland im März 2014 in die Krim einmarschiert war. Geplant war, die Sanktionen aufrechtzuerhalten, bis die Minsker Vereinbarung, ein Protokoll zur Beendigung der Kampfhandlungen in der Ukraine, vollständig umgesetzt worden wäre.
Da es aber nur wenige Fortschritte gibt, was das Minsker Abkommen angeht, möchten einige deutsche Führungskräfte die Sanktionen nun beenden. Am 31. Mai schlug der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor, die Sanktionen schrittweise auslaufen zu lassen, anstatt abzuwarten, bis das Minsker Abkommen vollständig erfüllt worden sei.
Der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel teilt diese Meinung. In einem Bericht über eine Rede, die Gabriel vor Kurzem vor deutschen und russischen Wirtschaftsführern hielt, schreibt der Spiegel:
Er spricht davon, wie Russland in letzter Zeit bewiesen habe, dass es ein zuverlässiger Partner sein könne, und führt hierbei das Atomabkommen mit dem Iran als Beispiel an. Er sagt, dass Russland und die Welt aufeinander angewiesen seien – und dass die Zeit gekommen sei für eine schrittweise Aufhebung der Sanktionen
.Der Spiegel berichtet zudem, dass die deutsche Regierung „hinter den Kulissen [...] längst konkrete Pläne für eine schrittweise Lockerung der Sanktionen gegen Russland [schmiede] und dass der Prozess schon in diesem Jahr beginnen [könne]“.
Gabriel und Steinmeier verorten sich auf der politischen Linken von Kanzlerin Angela Merkel. Aber die Rechte bläst in dasselbe Horn. Letztes Jahr forderte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, Chef der Christlich-Sozialen Union (CSU), der Schwesterpartei der Partei von Kanzlerin Merkel, das Ende der europäischen Wirtschaftssanktionen und bessere Beziehungen zu Russland. „Man muss die Frage stellen, wollen wir die Sanktionen auf unbegrenzte Zeit laufen lassen? Oder ist es an der Zeit, darüber zu reden?“
Seehofer besuchte trotz der Sanktionen den russischen Präsidenten Wladimir Putin, ebenso tat es der Ehrenvorsitzende der CSU Edmund Stoiber.
Auch steht Deutschland mit dieser Haltung nicht alleine da. Andere Länder zahlen ebenfalls einen wirtschaftlichen Preis für die Sanktionen. „Es ist kein Geheimnis, dass mehrere Länder innerhalb der EU skeptisch sind“, sagte Steinmeier. Länder wie Österreich, die Tschechische Republik, Ungarn und Italien unterstützen ebenfalls eine Lockerung der Sanktionen.
Trotz der Sanktionen verbesserte Deutschland seine Beziehungen zu Russland in wichtigen Punkten. Beide Länder bauen eine zweite Gaspipeline unter der Ostsee – trotz des Widerstandes Amerikas und eines Großteils der EU. Damit wird Deutschland in der Lage sein, 80 Prozent des russischen Gases auf dem Weg nach Europa zu befördern. Deutschlands Geschäftsbeziehung mit Russland setzt sich auch in anderer Weise fort.
Die derzeitige Politik der Sanktionen funktioniert für Deutschland nicht. Deutschlands Wirtschaft ist hiervon sowohl direkt (entgangene Geschäfte mit Russland) als auch indirekt (die Länder der Eurozone, in die Deutschland verkauft, sind ärmer, weil ihre Volkswirtschaften auch unter den Sanktionen leiden) betroffen. Die deutsche Wirtschaft ist stark exportabhängig, somit treffen die Sanktionen sie dort, wo es am meisten wehtut.
Eine Eskalation im Konflikt mit Russland ist zudem wahrscheinlicher. „Die Europäische Union ist ausreichend zerbrechlich, um Deutschland Angst zu machen“, schreibt George Friedman für Geopolitical Futures. „Eine Konfrontation zwischen Europa und Russland würde wahrscheinlich die EU zerbrechen.“
Zusätzlich zu alledem überschneiden sich russische und deutsche Interessen in jeder größeren Krise, vor der Europa steht. Russland verfügt über starke Verbindungen zu Zypern und Griechenland und könnte Europa in seinem Umgang mit der Finanzkrise spürbar helfen – oder behindern. Russlands Verbindungen zu Syrien und dem Assad-Regime geben Russland einen großen Einfluss auf die Flüchtlingskrise.
Das Problem besteht darin, wie Friedman erklärt, dass ein Ende der Konfrontation mit Russland Deutschland gegen Amerika positionieren würde. Er weist darauf hin, dass „sich auf der Liste der Dinge, die Russland gerne verändern würde – weit wichtiger als die ostukrainische Autonomie –, die wachsende Präsenz der USA in den baltischen Staaten, Polen und Rumänien befindet“.
Friedman hält einen möglichen Kompromiss zwischen Russland und Amerika für höchst unwahrscheinlich. Russland wünscht sich einen Rückzug der US-Truppen aus dem Gebiet und eine Garantie, dass die Ukraine nicht in das westliche Sicherheitsbündnis integriert wird. Doch Amerika traut Russland nicht und rechnet mit einer Missachtung einer solchen Vereinbarung, sollten die amerikanischen Truppen abgezogen werden. „Der US-Truppeneinsatz in der Region erschwert eine Aufhebung der Sanktionen deutlich und sorgt dafür, dass das Thema der Sanktionen zu einem Randthema wird“, schreibt Friedman.
„Die einzige andere Möglichkeit für Deutschland besteht darin, einen alternativen Weg zu finden, die Situation mit Russland und Amerika taktisch klug zu lösen“, schreibt er.
Behält Deutschland seine übliche Nachkriegsrolle bei und fügt sich Amerika, setzen sich die Probleme mit Russland fort. „Die normale Strategie Deutschlands besteht darin, nichts zu tun. Aber nichts zu tun bedeutet in diesem Fall, eine Reihe von destabilisierenden Kräften deutsche Kerninteressen untergraben zu lassen“, schreibt Friedman.
Er fährt fort:
Aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Verwundbarkeit Deutschlands können die Amerikaner das Fundament Deutschlands destabilisieren. Daher ergibt es für Deutschland Sinn, die Rolle einzunehmen, die im 19. Jahrhundert Großbritannien innehatte, für ein Kräftegleichgewicht in Europa zu sorgen und sich nach Russland auszustrecken. Russland könnte ein Gegengewicht zu den Amerikanern bilden und würde deutsche Wirtschaftsaktivitäten in seinem Land aufgrund der eigenen geschwächten Wirtschaft begrüßen.
Während Deutschland erwägt, sich wegen der Sanktionen von Amerika zu lösen, erwägt die EU eine europäische Verteidigungsunion
, eine NATO ohne Amerika. NATO-Quellen bekundeten der Presse gegenüber ihren Unmut darüber, dass Frankreich sein Interesse an der NATO zu verlieren scheint, während es gleichzeitig bemüht ist, sein eigenes europäisches Verteidigungsbündnis zu gründen. Die New York Times schreibt: „Frankreich kehrt zu seiner traditionellen Skepsis im Blick auf das Bündnis zurück, das Frankreich als Instrument amerikanischer Politik und als eine Verletzung seiner Souveränität sieht.“Deutschland unterstützt Frankreichs Streben nach diesem neuen Bündnis. Ein solches Bündnis wäre entscheidend wichtig, sollte Deutschland sich wegen Russland mit Amerika überwerfen. Um sich Russland nähern zu können, ohne dass Polen, das Baltikum oder andere mitteleuropäische Staaten hiervon beunruhigt würden, müsste Deutschland einen Weg finden, diesen Ländern ihre Angst zu nehmen.
Der französische Präsident François Hollande ist ausgesprochen deutlich, wenn es um sein Ziel geht, Europas militärische Abhängigkeit von Amerika zu beenden. „Wir wollen uns nicht auf eine andere Macht verlassen, auch keine uns freundlich gesinnte, wenn es darum geht, den Terrorismus zu bekämpfen“, sagte er der deutschen Bild-Zeitung.
Natürlich steht ein deutsches Ende der Sanktionen nicht von vornherein fest. Kanzlerin Merkel ist eine der russlandskeptischsten Politiker Deutschlands. Trotz allem, was ihre Untergebenen sagen, lässt sie in keiner Weise erkennen, dass sie für einen Abbau der Sanktionen wäre. Aber Politiker links und rechts von ihr sind pro-russisch. Es braucht womöglich einen neuen Kanzler, aber eine offene Annäherung zwischen Deutschland und Russland wird kommen.
Die Tatsache, dass deutsche Politiker einen Bruch mit den USA erwägen, während Europa an einem Verteidigungsbündnis ohne die USA arbeitet, ist bedeutsam. In einem Artikel hob Stratfor im August 2008 hervor, wie groß das Potenzial für deutliche Veränderungen ist (Hervorhebung hinzugefügt):
All dies soll nicht sagen, dass Berlin drauf und dran ist, dem Westen den Rücken zuzukehren. Es hat Zeit, seine Entscheidung zu überdenken. Der Punkt ist, dass Deutschland nicht der unerschütterliche Fels der NATO und der Europäischen Union ist, für den der Westen Deutschland hält. Russlands jüngste Maßnahmen bedeuten, dass die Geschichte mit den Deutschen aufholt und dass eine Entscheidung unausweichlich wird. Alles hängt davon ab, ob Berlin seine Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten aufrechterhalten oder das gesamte Kräftegleichgewicht Europas umdrehen möchte, indem es sich mit Russland einig wird . Berlin kann es kaum abwarten, sich auf dem Kontinent wieder einmal als eine echte und uneingeschränkte Macht behaupten zu können. ... Berlin entscheidet über die Zukunft Europas und möglicherweise der Welt.
Die Lockerung der Sanktionen und die Gespräche über ein europäisches Verteidigungsbündnis befinden sich noch in den frühen Stadien, aber es kann gut sein, dass wir hierin den Beginn dieser geopolitischen Verschiebung sehen.
Ein Grund, warum Großbritannien und die USA die Bildung der Europäischen Union unterstützten, lag in dem Bestreben, ein Gegengewicht zur Sowjetunion zu schaffen. Verbündet sich die EU nun mit Russland, ging der Schuss gehörig nach hinten los. Otto von Bismarck offenbarte einst den Schlüssel für ein erfolgreiches Europa: „Das Geheimnis der Politik? Haben Sie einen guten Vertrag mit Russland.“ Dr. Srdja Trifkovic, Redakteur für auswärtige Angelegenheiten beim Chronicles-Magazin, erklärt in einem Interview:
Die Einzigen, die beständig Angst haben vor einer deutsch-russischen Verständigung, sind die Seemächte. Im 19. Jahrhundert versuchten die Briten, den Aufstieg einer aufstrebenden Supermacht wie beispielsweise einer deutsch-russischen Allianz auf dem Kontinent zu verhindern. Mit Blick auf das britische Empire und seine Marinestützpunkte springt es einem förmlich ins Auge, wie das eurasische Kerngebiet praktisch umzingelt war.
Vor Bismarck versuchte Napoleon Bonaparte sich mit Russland zu verbünden, um hierdurch Großbritannien von seiner Versorgung abzutrennen. Später wurde der Hitler-Stalin-Pakt geschlossen, um einen Sieg der Achsenmächte in den Schlachten im Westen während des Zweiten Weltkrieges herbeizuführen.
Vielleicht folgt Amerika Deutschland einfach, was auch immer Deutschland möchte, sogar die Sanktionen könnten, um einen Bruch in den Beziehungen zu verhindern, zurückgefahren werden. Ein geschickter deutscher Regierungschef ist womöglich in der Lage, die Beziehungen zu Russland zu kitten und gleichzeitig einen Bruch mit den USA hinauszuzögern. Es wird jedoch zu einem Zerwürfnis in den deutsch-amerikanischen Beziehungen kommen.
Weitere Informationen über die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen finden Sie im folgenden Artikel des Chefredakteurs der Posaune, Gerald Flurry : „Behalten wir Deutschland im Blick! “ Weiteres über Deutschlands Beziehung zu Amerika lesen Sie in „The Significance of Germany’s Break From America “ (zurzeit nur auf Englisch erhältlich). ▪