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Warum Russland marschiert – und Osteuropa besorgt ist

Andrew/Wikimedia

Warum Russland marschiert – und Osteuropa besorgt ist

Wollen Sie die Ereignisse in der Ukraine verstehen? Dann müssen Sie sich die enormen Einsätze der Betroffenen mal vorstellen.

Nur wenige Menschen in der Welt sind mit Unmenschlichkeit mehr vertraut als die Osteuropäer. Zwischen den führenden Mächten des Westens und der Macht Russlands liegend, haben sie die ärgsten der schlimmsten Konflikte in der Geschichte erlebt. Mehr Menschen sind in dieser Region durch die Hand ihrer Mitbürger gestorben als sonst wo in der Welt.

Die Schlachten des Zweiten Weltkriegs, die der westlichen Welt bestens bekannt sind, einschließlich D-Day und Ardennen-Offensive, ereigneten sich an der Westfront – wo weniger als 4 Millionen Soldaten starben. Das ist kaum vergleichbar mit dem Blutvergießen an der Ostfront, wo die Kämpfe ungefähr 17 Millionen Soldatenleben forderten. Und das schließt nicht die riesige Zahl der Zivilisten ein, die ihr Leben in der Schlacht von Stalingrad, der Belagerung von Leningrad und anderen entsetzlichen Zusammenstößen verloren haben. Genau genommen entsprechen die Verluste an der Westfront nicht einmal denen an der Ostfront des Ersten Weltkrieges: Geschätzte 5 Millionen Soldaten fanden dort den Tod.

Diese Geschichte ist ausschlaggebend, um die Krise in der Ukraine zu verstehen. Diese Nation und verschiedene andere Nationen in Osteuropa werden zu einem Kampfplatz in einem Gebietskonflikt zwischen Europa und Russland.

Aus westlicher Sicht erscheint Russlands Angst vor einer europäischen Expansion in die Ukraine wie ein grotesker Verfolgungswahn. Doch angesichts der russischen Geschichte – und wie die Russen immer wieder unter europäischen Aggressoren fürchterlich gelitten haben – ist es angemessene Vorsicht.

Gleichzeitig haben die Osteuropäer schrecklich unter den Russen gelitten, und das nicht nur während des Kalten Krieges. Angesichts dieser Geschichte ist deren Angst, dass Russland über die Krim hinaus zuschlagen will, wohl begründet.

Warum Osteuropa erschüttert wird

Die Freiheit, deren sich Osteuropa augenblicklich erfreut, ist eigentlich eine historische Anomalie. Für den Großteil des 20. Jahrhunderts wurde die ganze Region von Russland beherrscht. Estland, Lettland, Litauen und Polen waren von diesen 100 Jahren nur 30 Jahre lang eigenständig und frei.

Mittel- und osteuropäische Nationen können nur dann eigenständig existieren, wenn die umliegenden Mächte schwach sind. Das letzte Mal, dass dies für einen längeren Zeitraum der Fall war, war vor mehr als 500 Jahren. Im 13. Jahrhundert eroberten die Mongolen Russland vom Osten und hielten das Land mehr als 200 Jahre lang in Knechtschaft. Unterdessen war Deutschland noch nicht vereint und noch nicht zur kontinentaleuropäischen Großmacht geworden.

Dieses Vakuum ermöglichte dem im Jahr 1569 offiziell geschaffenen Doppelstaat Polen-Litauen, sich kräftig zu entwickeln. Auch Schweden war eine Großmacht in der Region, während deutsche Ritter jenes Gebiet regierten, das jetzt Estland und Lettland ist. Ohne Bedrohung aus dem Osten konnte Polen sich eigenständig behaupten.

Im Süden füllte das Osmanische Reich das Vakuum. Die Osmanen eroberten Bulgarien am Ende des 14. Jahrhunderts, dann Moldawien und Rumänien während des 15. und 16. Jahrhunderts.

Als aber Russland erstarkte, änderte sich das alles. Polen versuchte zwar Anfang des 17. Jahrhunderts Vorteile aus Russlands Schwäche zu ziehen, doch schon bald war diese Gelegenheit vorbei. Die Polen begannen die Kontrolle über das ukrainische Gebiet an die Russen zu verlieren. Das Gebiet des heutigen Estlands und Lettlands fiel Anfang des 18. Jahrhunderts an Russland, und Polen wurde ein Vasallenstaat Russlands. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verschwand Polen gänzlich von der Landkarte Europas, weil es zwischen den Nachbarmächten Preußen, Österreich und Russland aufgeteilt wurde. Die drei Eroberer stimmten sogar überein, die bloße Erinnerung an eine eigenständige polnische Nation ausrotten zu wollen.

Russland hatte nach wie vor Zusammenstöße mit Schweden im Norden und dem Osmanischen Reich im Süden. Aber einige der Länder in der Mitte hatten die Kraft, gegen die rivalisierenden Reiche standzuhalten und ihre Freiheit zu bewahren.

Für das südöstliche Europa war es nicht ganz so schlimm. Bulgarien und Rumänien erlangten mit Russlands Unterstützung ihre Selbstständigkeit vom Osmanischen Reich im späten 19. Jahrhundert. Das komplizierte Kräftegleichgewicht zwischen Russland, dem Osmanischen Reich und den Mächten Westeuropas bedeutete, dass diese Länder demzufolge ihre
Selbstständigkeit behalten konnten.

Aber die Länder Nordosteuropas bekamen ihre Freiheit erst nach 1917, als das kriegsmüde russische Reich in der bolschewistischen Revolution zusammenbrach. Estland, Lettland, Litauen, und Polen gewannen ihre Unabhängigkeit von Russland. Mehrere Nationen im Kaukasus versuchten ebenfalls sich abzuspalten, aber es gelang ihnen nicht. Die Ukraine konnte sich auch nicht loszureißen, obwohl Polen einen Teil ihres westlichen Territoriums sich einverleibte.

Diese Periode russischer Schwäche dauerte nur 20 Jahre. Während des 2. Weltkriegs brachte es all diese Nationen wieder zurück. Polen wurde im Jahr 1939 noch einmal aufgeteilt, bevor es endgültig von Russland erobert wurde. Vom Westen aufgegeben, war es gezwungen, die nächsten 40 Jahre unter russischer Herrschaft durchzuhalten.

Die Lehre für Osteuropa ist einfach: Es kann nur frei sein, wenn Russland schwach ist. Und jetzt zeigt die Krise in der Ukraine, dass Russland ein weiteres Mal erstarkt ist.

Sowjetische Herrschaft

Osteuropa hat unter der kommunistischen Herrschaft schrecklich gelitten. Die bekannteste Gräueltat ist der Holodomor von 1932-33 – die absichtliche Tötung der ukrainischen Bauern durch Hunger. Das Schwarzbuch des Kommunismus schätzt, dass mehr als 6 Millionen Menschen ermordet wurden. Und Mord ist hier das richtige Wort: Die russischen Behörden hielten absichtlich Nahrungsmittel zurück und exportierten diese sogar, obwohl sie wussten, dass die Bauern am Verhungern waren. Sie verhinderten auch mit Gewalt, dass die Bauern ihr Land verließen, um anderswo Nahrungsmittel zu kaufen.

Es hat auch der Rest der Region gelitten. Von 1940 bis 1953 deportierten die russischen Behörden 200.000 Menschen aus den baltischen Staaten; weitere 75.000 sperrten sie in Gulags ein. Zehn Prozent der gesamten erwachsenen Bevölkerung der baltischen Staaten wurde interniert oder deportiert. Die Russen deportierten auch 120.000 aus Moldawien, 7 Prozent der Bevölkerung. Sie vertrieben 300.000 aus der Ukraine.

Als Russland zu Beginn des Zweiten Weltkriegs das östliche Polen eroberte, deportierte es etwa 1 Million Polen. Einhunderttausend starben in Gefangenenlagern oder unterwegs zu ihren neuen Bestimmungsorten; 30.000 wurden erschossen.

Russland deportierte 600.000 Menschen aus Ungarn und inhaftierte etwa 750.000. Die Zahlen der anderen Länder, die von der Sowjetunion beherrscht wurden, sind genauso erschreckend. Das Schwarzbuch des Kommunismus schätzt, dass in Osteuropa während des 20. Jahrhunderts 1 Million Menschen durch kommunistische Regime starben.

Diese Zahlen sind nicht bloße Statistiken. Jede Zahl repräsentiert irgendjemand, der seit Menschengedenken heimatvertrieben
oder eingesperrt wurde oder Schlimmeres erlebte. Einst freie Länder erlebten, wie große Teile ihrer Bevölkerungen ausgelöscht wurden, und jene die verblieben, wurden gezwungen, unter einem berüchtigt repressiven Regime zu leben. Die Narben sowjetischer Herrschaft sind bis heute nicht verheilt.

Was Russland fürchtet

Aber auch die Russen haben in der jüngeren Vergangenheit schrecklich gelitten. Viele dieser Leiden wurden von ihren eigenen Herrschern verursacht: Bis zum Jahre 1953 wurden unter der Sowjetunion 14 Millionen in Gulags gesperrt. Sie haben aber auch infolge westeuropäischer Überfälle schrecklich gelitten. Im Zweiten Weltkrieg starben an der Ostfront um die 14 Millionen Zivilisten, mehr als 11 Millionen davon Sowjets (basierend auf Vorkriegsgrenzen). Wenn gefallene Soldaten mitgezählt werden, starben ungefähr 15 Prozent der Gesamtbevölkerung der Sowjetunion im 2. Weltkrieg im Konflikt mit Europa.

Und das war nicht der erste Krieg, in dem Russland half, einen europäischen Tyrannen mit ungeheuren Kosten zu besiegen. Im Jahr 1812 startete Napoleon seinen massiven Feldzug nach Russland. Er verlor eine halbe Million Männer in diesem verheerenden Feldzug, aber auch Russland wurde dabei hart getroffen: Dreiviertel von Moskau wurden zerstört; hunderttausende Soldaten wurden getötet.

Russland hat eine wichtige Lektion aus der Geschichte dieser Region gelernt: Russland wird zeitweise von europäischen Mächten bedroht, um es vollständig zu vernichten. Die einzige Möglichkeit sich dagegen zu wehren ist, diese Mächte so weit wie möglich vom Herzen Russlands fern zu halten.

Napoleon begann seinen Feldzug 880 km von Moskau und 680 km von St. Petersburg entfernt. Hitler startete seine Invasion aus ähnlicher Distanz. Hätte Russland überlebt, wenn diese Invasionen von der Ukraine aus gestartet worden wären, die weniger als 480 km von Moskau entfernt liegt, oder von Estland, das weniger als 160 km von St. Petersburg entfernt liegt? In diesen Regionen gibt es keine natürlichen Hindernisse, die Russland zur Errichtung einer Verteidigungslinie nutzen könnte. Stattdessen sind die Russen gezwungen, sich allein auf die bloße Entfernung zu verlassen.

Daher Russlands gegenwärtiges Vorgehen in der Krim und östlichen Ukraine. Präsident Putin ist nicht in Panik geraten – er sieht keinen europäischen Napoleon, der europäische Heere nach Moskau marschieren lassen könnte. Aber er weiß, dass das Potential dazu vorhanden ist. Man kann eine Nation nicht nur mit der Hoffnung verteidigen, dass die düstersten Abschnitte in der Geschichte der Nation nicht wieder geschehen würden. Also hält er Europa so fern wie möglich von seinen Grenzen.

Was uns zu dem gegenwärtigen Stillstand bringt. Osteuropa hat eine lange Geschichte unter russischer Herrschaft. Genau das rettete Russland zweimal in den letzten zwei Jahrhunderten. Russlands Vorstoß nach Westen bedeutete, dass jede Invasion aus dem Westen so viel Land abzudecken hätte, dass eine europäische Armee unvermeidlich mit einem fürchterlichen russischen Winter konfrontiert wäre. Russlands jüngster Vorstoß war nicht ein bloßer Landraub – er war eine Überlebensfrage. Es wird mehr als einige Demonstranten in Kiew erfordern, um Russland zum Einlenken zu bewegen.

Während nun Russland weiter Druck ausübt, leisten Mittel- und Osteuropa – mit ihrer langen Leidensgeschichte durch die Hand Russlands – weiterhin Widerstand. Aber alleine sind sie dazu nicht in der Lage. Ohne Unterstützung einer starken ausländischen Macht werden die unabhängigen Staaten von Mittel- und Osteuropa den Beweis liefern, dass sie nicht durchhalten können, wenn der Nachbar Russland unversehrt und mächtig bleibt.

Auf der Suche nach Verbündeten

Diese Nationen haben zwei mögliche Hilfsquellen: die Vereinigten Staaten und den Rest von Europa. In den vergangenen Jahren hat Amerika wiederholt gezeigt, dass es nicht gewillt ist, sich für diese Region einzusetzen. Dennoch, mit russischen Scharfschützen auf den Dächern der ostukrainischen Regierungsgebäude, versuchen diese Nationen wieder einmal, die Amerikaner zur Hilfe zu bewegen.

Hierzulande war die europäische Option nicht wirklich vielversprechend. Aber Osteuropa kann auf den Rest des Kontinents viel direkteren Einfluss nehmen. Dabei ist es das Ziel dieser Nationen, den Zentren der EU-Macht näher zu kommen und diese zusammenzuschließen zu einer Macht, die sich gegen Russland behaupten kann.

Der polnische Ministerpräsident, Donald Tusk, forderte Europa vor Kurzem auf, einen gemeinsamen Energiemarkt zu bilden, um sich von Russlands „Energie-Würgegriff“ auf den Kontinent zu befreien. Ferner hatte er erklärt, Polen solle sich einen Beitritt zur Eurozone überlegen. Obwohl Polen auf der Hut vor der Wirtschaft des Euros ist, ist es gleichzeitig mehr um seinen eigenen Schutz besorgt.

„Aus strategischer Sicht würde eine Mitgliedschaft in der Eurozone einen weiteren Anker zur Festigung Polens in der Gruppe der wichtigsten westlichen Länder bedeuten und unsere Sicherheit verbessern“, sagte Tusk in einem am 9. April im Nachrichtenmagazin Polityka veröffentlichten Interview. „Früher oder später werden wir zu dieser Diskussion zurückkommen müssen.

In der Tat, die Nähe dieser Region zu Russland ist der bedeutendste Faktor in der Euromitgliedschaft. Estland und Lettland, die an Russland grenzen, sind dem Euro beigetreten. Litauen, welches nicht an Russland grenzt, hat es nicht getan.

Zaghaftes Europa

Bis zu diesem Zeitpunkt jedoch hat die EU auf dieses Drängen außer mit Gesprächen kaum reagiert. Die NATO hat lediglich symbolische Truppen nach Osteuropa verlegt. Für Nationen wie Deutschland ist es bereits ein großer Schritt, eine Handvoll von Flugzeugen in diese Region zu senden. Aber für die Nationen im Osten ist es ein winzig kleiner Schritt.

„In Mitteleuropa gibt es ein tiefes Gefühl des Verrats“, schrieb der US-Nachrichtendienst Stratfor. „Die polnische Regierung, die um starken und dauerhaften NATO-Schutz gebeten hatte, erhielt keinen. … Die Länder vom Baltikum bis südlich nach Bulgarien spüren, dass die europäischen Institutionen, auf die sie bauten – und wir können die NATO mit einbeziehen – versagt haben“ (9. April). Osteuropa braucht etwas viel radikaleres als das, was wir zu sehen bekamen. Für diese Nationen hat Russlands Invasion der Krim die Illusion vom „Ende der Geschichte“ – nämlich, dass wir mit dem Fall der Sowjetunion irgendwie in ein magisches neues Zeitalter eingetreten sind, wo Krieg ein Ding der Vergangenheit ist – völlig zerstört. Für seine Sicherheit braucht Osteuropa eine in ihren Ländern stationierte Streitmacht, die in der Lage ist, eine Invasion zu verhindern.

Die NATO-Mitglieder von Osteuropa sind fürs Erste wahrscheinlich sicher vor Russland – obwohl ein „wahrscheinlich sicher“ weniger als beruhigend ist, wenn es um die nationale Existenz geht, die auf dem Spiel steht. Die NATO hat keine bedeutenden Streitkräfte in Osteuropa stationiert. Die USA können sich mit nur einer Rede oder einem Stück Papier aus der Region zurückziehen. Ohne eine beträchtliche Truppenstärke vor Ort können Garantien in einem einzigen Augenblick entzogen werden. NATO-Garantien sind wahrscheinlich gut für heute. Aber was ist in fünf Jahren? Oder in fünf Monaten?

Amerikas Wort hat niemals weniger gegolten. Die USA haben 2008 versagt, Georgien vor Russland zu schützen – dieses Jahr haben sie einen ähnlichen Akt des Verschwindens in der Ukraine gezeigt. Washingtons Rote Linie für Syrien wurde ignoriert. Die US-Reaktion auf Chinas Gebietsansprüche war so schwach, dass Japan sich öffentlich besorgt zeigt, sich nicht mehr auf Amerikas Verteidigungsversprechen verlassen zu können. Als radikale Islamisten Amerikas langfristigen Verbündeten in Ägypten, Hosni Mubarak, bedrohten, favorisierte Amerika die Islamisten. In den letzten Jahren wurde beinahe jede Nation, die für ihre Verteidigung auf Amerika baute, enttäuscht. Kein Wunder, dass Osteuropa befürchtet, dass Amerikas Wort es nicht viel länger schützen wird.

Deshalb will Osteuropa drastischere Maßnahmen. Es wird seine Appelle weiterhin an die Supermacht richten, die Russland in der Vergangenheit erfolgreich entgegengewirkt hat, aber gleichzeitig werden diese Länder einen ernsten und dauerhaften Druck auf Europa ausüben, Nägel mit Köpfen zu machen. Für sie bedeutet das die Stationierung von französischen, deutschen und hoffentlich britischen Truppen in ihren Ländern. Das bedeutet also eine Art von europäischer Armee.

‚Wir müssen mutig sein‘

Die Geschichte Osteuropas zeigt, dass das Überleben dieser Länder auf dem Spiel stehen könnte, und sie wissen es. Am 14. März führte die Associated Press eine Umfrage bezüglich der Stimmung in diesen Ländern durch mit folgendem Ergebnis: „Gebrochene Hilfszusagen des Westens. Eine tragische Geschichte russischer Invasionen, die Jahrhunderte zurückreicht. Ein schmerzliches Bewusstsein, dass Konflikte in dieser unbeständigen Region ansteckend sind. Das sind die Faktoren, die die Nationen in ganz Osteuropa veranlassen, die Ereignisse in der Ukraine zu beobachten – und zu bangen.“

Die gleichen Befürchtungen drückte der litauische Botschafter bei den Vereinigten Staaten, Žygimantas Pavilionis, in einem im April gegebenen Interview mit der Posaune aus: „Da die Dinge sich jetzt mehr wie im 19. oder 20. Jahrhundert entwickeln, müssen wir mutig sein“, sagte der Botschafter. „Wir brauchen mehr Strategie.“

Die EU bewegt sich langsam, aber in den kommenden Monaten werden Mittel- und Osteuropa einen anhaltenden Druck ausüben, um Europa zu vereinen. Putin könnte die Ukraine-Krise ausweiten oder dieses Thema könnte aus den Schlagzeilen verschwinden. Aber es wird nicht aus den Gedanken jener weichen, die ganz in der Nähe von Russland leben. Die Krimkrise sandte eine Schockwelle durch Europa, aber wir haben noch nicht einmal begonnen, die anhaltenden Veränderungen zu erkennen, die sie mit sich bringt.

Das sind die Veränderungen, die die Posaune und ihr Vorgänger, die Klar & Wahr, jahrzehntelang vorausgesagt haben. Beide Zeitschriften haben lange verkündet, dass ein vereintes Europa entstehen wird, mit einem östlichen und einem westlichen Bein.

Heute nun hat das östliche Bein den starken Wunsch nach dieser europäischen Supermacht – und hat den Willen, diese Macht, die bisher nicht vorhanden war, formen zu helfen. Diese osteuropäischen Länder kennen ihre Geschichte; sie wissen, dass dies eine Frage von Leben und Tod ist.

Diese Geschichte bedeutet, dass wir eine entschlossene osteuropäische Resonanz erwarten können – nicht etwas, das nach einigen Monaten im Sande verlaufen wird. Einige könnten versuchen, eine Abmachung mit Russland auszuarbeiten, aber jene, die am meisten unter der sowjetischen Herrschaft gelitten haben, werden sich mit erneuter Dynamik an Europa wenden.

Mit den Jahrhunderten turbulenter osteuropäischer Geschichte im Gedächtnis ist klar zu erkennen, dass die Krimkrise in der Tat ein globaler Spielveränderer ist. Und die kommenden Monate werden zeigen, dass es eine drastischere Veränderung sein wird als die meisten aktiven Analysten erwarten.