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Deutschland, die politische Krise und Supermann
Das folgende ist ein Artikel, den wir schon einmal veröffentlicht haben. Doch aufgrund der bevorstehenden Wahlen glauben wir, dass es sinnvoll wäre, ihn noch einmal zu lesen:
Seit 1982, dem Jahr, als E.T. der Außerirdische herauskam und der Krieg auf den Falklandinseln geführt wurde, hatte Deutschland nur drei Kanzler. Die Vereinigten Staaten hatten in dieser Zeit immerhin fünf Präsidenten, Großbritannien sechs und Italien fünfzehn Premierminister. Noch bemerkenswerter ist, dass Deutschland seit dem Ende des zweiten Weltkriegs vor mehr als 70 Jahren nur neun Kanzler hatte. Das entspricht einer durchschnittlichen Amtszeit der Kanzler von acht Jahren. Amerika hatte in dieser Zeit 12 Präsidenten, die durchschnittlich sechs Jahre im Amt waren, Großbritannien 15 Premierminister mit einer durchschnittlichen Amtszeit von fünf Jahren und Italien 45 Premierminister mit 1,5 Jahren Amtszeit.
Hinter diesen Tatsachen steht eine grundlegende Wahrheit: Nachkriegsdeutschland, vielleicht mehr als jedes andere moderne Land, ist an politische Stabilität und Ordnung gewohnt.
Was also wird passieren, wenn dieses politisch stabile und unselbstständige System zusammenbricht? Die Geschichte gewährt uns einen Einblick.
Die Weimarer Republik (das demokratische Regierungssystem Deutschlands zwischen 1919 und 1933) war voller Unsicherheit und Unordnung und auch allgemein sehr unbeliebt. Extremistische Parteien gediehen, während die Weimarer Regierung ständig vom Zusammenbruch bedroht war (in 14 Jahren gab es 14 nationale Wahlen). Dann war das Weimarer System 1933 so stark geschwächt und es herrschte so viel systembedingte Instabilität, dass das Regime keine Chance hatte, Adolf Hitler und dem Nationalsozialismus standzuhalten. Sieben Jahre nachdem sie unter Ausnutzung der politischen und sozialen Krisen die Herrschaft über Deutschland übernommen hatten, setzten Adolf Hitler und die Nazi-Partei die Welt in Brand.
Nachkriegsdeutschlands politisches System wurde unter anderem so konstruiert, dass ein neues Szenario wie in Weimar vermieden wird. Und dieses System hat sieben Jahrzehnte lang erfolgreich (wenn auch nicht vollkommen) für politische Stabilität, Ordnung und Beständigkeit gesorgt; es hat extremistische Parteien und Ideologien unterdrückt und sich das Vertrauen des deutschen Volkes gesichert. Das deutsche Nachkriegssystem ist so erfolgreich gewesen, dass nur sehr wenige Leute heute glauben würden, dass in Deutschland wieder Bedingungen wie in Weimar herrschen könnten. Aber ein Erfolg in der Vergangenheit garantiert noch keinen zukünftigen Erfolg und gerade jetzt passieren mehrere Krisen gleichzeitig, die das politische System Nachkriegsdeutschlands einem enormen Druck aussetzen. Es ist noch zu früh, etwas vorherzusagen, aber eine politische Krise könnte unmittelbar vor der Tür stehen. Bedenken Sie einmal, welcher Krise Deutschland im Moment gegenübersteht. Ein ganz offensichtliches Problem sind die vielen Flüchtlinge und die Integration von mehr als einer Million Einwanderern, die meisten davon Muslime. Das bringt erhebliche Opfer und Unkosten mit sich, sowohl wirtschaftlich als auch sozial und kulturell. Der radikale Islam hat sich in Deutschland angesiedelt und ist darauf versessen, Gewalt und Leid ins Land zu bringen. Es baut sich eine Spannung zwischen Deutschen und Ausländern auf und extremistische Ideologien und Politik nehmen zu. Deutschlands wirtschaftliche Aussichten sind unsicher und instabil. Die Deutsche Bank, das größte Geldinstitut des Landes, steht kurz vor dem Zusammenbruch und ihr Ringen ist ein klares Anzeichen einer größeren Finanzkrise. Außerhalb Deutschlands übt das kriegerische Russland Druck auf Osteuropa aus. Unterdessen verlassen sich viele marode europäische Länder auf Deutschlands Führungsstellung – und auf sein Geld. Als sei ein Zusammentreffen aller dieser Sachverhalte nicht schon ernst genug, kommt die sich abzeichnende politische Krise noch hinzu, und die ist ganz besonders besorgniserregend.
Die deutsche Regierung und im besonderen Angela Merkel, erweisen sich als unzulänglich, aber Deutschland hat keinen alternativen Führer.
Seit 2005 war die Mutti oder ‚Mutter Merkel‘ ein typisches Beispiel teutonischer Beharrlichkeit und Stabilität, aber es gibt jetzt klare Anzeichen von Schwäche und Verletzlichkeit. Das Problem ist nicht, dass es Merkel an Lösungen oder an Führungsqualitäten fehlt; das Problem ist die stark zunehmende Anzahl von Deutschen, die mit Merkels Lösungen absolut nicht mehr einverstanden sind; sie sind enttäuscht und ärgerlich über die Beharrlichkeit, mit der sie diese auch weiterhin vorantreibt. Die Kanzlerin, ihre Mitstreiter und die gängigsten deutschen Medien haben sich immer stärker von dem Durchschnittsdeutschen abgekoppelt. In den Landtagswahlen vom vergangenen Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern, kam Merkels eigene Partei, die Christdemokratische Union (CDU) erst an dritter Stelle nach den Sozialdemokraten (SPD) und der rechts außen angesiedelten Alternative für Deutschland (AfD). Das war das schlechteste Ergebnis der CDU bei Landtagswahlen seit dem zweiten Weltkrieg. Dieses Ergebnis stand in direktem Zusammenhang mit Merkels Führung, besonders mit ihrer Handhabung der Flüchtlingskrise.
Eine Meinungsumfrage im August zeigte, dass 50 Prozent der Deutschen dagegen sind, dass Frau Merkel noch eine vierte Amtsperiode Kanzlerin bleibt. Die Umfrage vom 4. August zeigte, dass Merkels Popularität um 12 Punkte auf den tiefsten Punkt in fünf Jahren gefallen ist. Dieselbe Umfrage zeigte auch, dass zwei Drittel der Wähler gegen Merkels Handlungsweise während der Flüchtlingskrise waren. Die Kanzlerin wird auch zunehmend von ihren eigenen politischen Mitstreitern kritisiert. „Angela Merkel ist ganz klar an ihrem politischen Höhepunkt angekommen“, stellte Ralf Stegner, stellvertretender Vorsitzender der SPD, nach den Wahlen vom Sonntag fest. In einem Interview kritisierte Sigmar Gabriel, SPD-Chef und wichtiger Koalitionspartner in Merkels Koalitionsregierung, Merkels optimistisches Motto „Wir schaffen das“ und sagte, Merkel habe die Herausforderung der Integration der Flüchtlinge „unterschätzt“.
Die schärfste Kritik kam unter anderem von Frau Merkels Freunden und Verbündeten in Bayern, das Herz und die Seele des deutschen Konservatismus. Die Christlich-Soziale Union (CSU) in Bayern war jahrzehntelang die treueste Verbündete der CDU gewesen und der eigentliche Grund für die lange anhaltende Vorherrschaft der konservativen Koalitionsregierungen. Zurzeit stehen die CSU-Politiker, allen voran der Parteichef Horst Seehofer, Frau Merkel besonders kritisch gegenüber. Viele Politiker haben bereits erklärt, dass sie ihre Wiederwahl bei den Bundestagswahlen 2017 keinesfalls unterstützen werden. In seinem Kommentar zu den Landtagswahlen vom vergangenen Sonntag machte Horst Seehofer ausschließlich Frau Merkel für die Wahlniederlage verantwortlich und stellte warnend fest, dass, so sich nicht bald etwas änderte, die konservativen Parteien in größte Schwierigkeiten geraten würden. „Die Lage der Konservativen ist äußerst bedrohlich“, sagte Seehofer der Süddeutschen Zeitung. Das Problem ist, dass die Wähler der „Berliner Politik“ satt und überdrüssig sind. Seehofer müsste nämlich die Wiederwahl von Frau Merkel unterstützen.
Letzten Montag warnte Carsten Brzeski, Chefökonom bei der deutschen ING-DiBa Bank, dass die Wahl vom Sonntag ein „neuerlicher Schuss vor den Bug der Bundesregierung und von Kanzlerin Merkel war.“ Deutschlands wichtigste Medien, die bisher die Kanzlerin und ihre Flüchtlingspolitik immer unterstützt hatten, haben seit Sonntag begonnen zu erkennen, dass Frau Merkel möglicherweise zurücktreten muss. Am Dienstag betonte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble in einer Rede vor dem Bundestag den Ernst der jetzigen Lage. Deutschland ist starkem Druck ausgesetzt und „so gibt es auch bei uns zunehmend Rufe nach dem starken Mann.“ Die Bedingungen für das Erscheinen eines „Demagogen“ sind erfüllt, warnte er.
Doch wer könnte Frau Merkel ersetzen?
Im Moment gibt es keine offensichtliche Alternative. Es ist Angela Merkel oder niemand. Eines ist bemerkenswert: Trotz der ablehnenden Haltung Frau Merkel gegenüber gibt es keine nennenswerte Debatte über ihre Nachfolge. Bis zu der Wahl am Sonntag gab es kaum einen Artikel, der das Thema Deutschland nach Merkel angesprochen hätte. Das ist auch jetzt noch kein die Medien beherrschendes Thema. Frau Merkel hat einfach keinen Nachfolger. Es gibt niemanden, weder von links noch von rechts, der sich auf Bundesebene aktiv dafür einsetzt, Frau Merkel nachzufolgen und Deutschlands Führung zu übernehmen. Deutschland hat weder einen Donald Trump noch eine Hillary Clinton und es hat auch keinen Nigel Farage oder eine Marine Le Pen.
Das ist bedeutsam:
Amerika, Großbritannien und Frankreich haben offensichtlich Kandidaten, die darum wetteifern, die amtierenden Parteien oder Führungspersönlichkeiten abzulösen oder die unzufriedenen und aufgebrachten Teile der Bevölkerung auf nationaler Ebene zu vertreten. In diesen Ländern gibt es populäre Persönlichkeiten, die öffentlich die Probleme diskutieren, die Frustrationen der Leute erkennen und ihre eigenen Ideen und Lösungen dazu anbieten. Manche dieser Ideen und Lösungen (und Kandidaten) sind lächerlich. Es ist aber wichtig, dass unzufriedene Amerikaner, Briten und Franzosen durch eine nationale Persönlichkeit und eine Bewegung vertreten werden. Sie haben jemanden, der ihre Sorgen teilt; jemand, der zumindest da ist und ihre Besorgnisse versteht. Besorgte Amerikaner, Briten und Franzosen haben jemanden, hinter dem sie sich sammeln können. Für Amerikaner, die sich um die Einwanderung Sorgen machen, ist Donald Trump der Supermann. Und für Amerikaner, die sich wegen Donald Trump sorgen, ist Hillary Clinton ihre Superfrau. Für Briten, die sich wegen der Einwanderung oder über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union Sorgen machen, ist Nigel Farage ihr Supermann.
Deutschland hat zurzeit keinen Supermann.
Es gibt in Deutschland selbstverständlich auch Politiker, die sich melden würden, um Frau Merkels Job zu übernehmen. Aber niemand bemüht sich aktiv und mit Begeisterung um den Posten und die deutsche Öffentlichkeit ist auch keinem Kandidaten besonders zugeneigt. Bisher hat sich auf Bundesebene niemand wirklich darum beworben – niemand erscheint im Fernsehen, schreibt Artikel oder macht Werbung für sich, um das deutsche Volk zu erreichen und ihm zu zeigen, dass er Verständnis für seine Sorgen hat, dass er seine Ängste teilt und brauchbare Lösungen für Deutschlands Krisen anzubieten hat. Niemand hat bisher die Fantasie der Menschen beflügelt. Zurzeit fehlt in Deutschland ein Anführer, der Persönlichkeit, Führungsqualitäten und Stil besitzt und dessen Strategien und Lösungen in der Öffentlichkeit für Aufregung sorgen und Hoffnungen wecken.
Deshalb wächst der Wunsch der Leute nach einem Supermann von Tag zu Tag.
Das ist möglicherweise ein gefährliches Szenario. Die Politik verabscheut das Vakuum. Je häufiger und intensiver die Krisen werden, umso größer ist der Wunsch nach jemandem mit wirklichen Lösungen. Das war genau das Szenario, das den Aufstieg zur Macht von Hitler und der Nazi-Partei möglich machte. Verglichen mit der Weimarer Republik war Hitler energisch, leidenschaftlich und rasant. Er kam mit scheinbar brauchbaren und vernünftigen Lösungen daher. Und 1933 waren die Ängste und Frustrationen des Volkes schließlich so stark und sein Hunger nach besserer Führerschaft so intensiv, dass viele Deutsche einfach den Psychopathen in Hitler nicht erkennen wollten und stattdessen in ihm nur den Supermann sahen, der ihre Ängste beruhigen und Recht und Ordnung wiederherstellen würde.
Die Regierung Merkel von heute kann man nicht mit der Weimarer Republik vergleichen. (Die Regierungsführung von Frau Merkel war, zumindest zwischen 2005 und 2014, eher das genaue Gegenteil der Weimarer Republik.) Aber was wird geschehen, wenn die islamistischen Attentate weitergehen? Was passiert, wenn die Immigranten weiter Deutsche angreifen und vergewaltigen? Was, wenn die Flüchtlinge weiterhin in Massen nach Deutschland strömen? Was wird, wenn die Wirtschaft einbricht? Was geschieht, wenn die Rechte weiter zunimmt? Es ist nicht unvernünftig anzunehmen, dass all das dazu tendiert, so weiterzugehen. Was wird das Schicksal von Frau Merkel dann wohl sein? Vielleicht wird ja alles gut gehen und der richtige Kandidat wird sich rechtzeitig finden, die Herzen der Deutschen erobern und Frau Merkel problemlos ersetzen können. Vielleicht wird ja auch Frau Merkel ihre Ansichten ändern und sich auf die Seite der öffentlichen Meinung der Deutschen schlagen. Aber seien wir lieber realistisch: Das wahrscheinlichste Szenario ist doch, dass die Krisen weitergehen, die Beliebtheit von Frau Merkel weiter schwindet und die Sehnsucht der Deutschen nach einem Mann, der eine wirkliche Lösung der Probleme bietet, weiter wächst.
Deutschland, wie viele andere westliche Regierungen, steuert auf eine große politische Krise zu. Die Deutschen tendieren im Allgemeinen dazu, unbeirrbar und pragmatisch zu sein und sie können leichter Unbehagen ertragen und Opfer bringen. Aber sie mögen keine Instabilität, keine Unsicherheit und dulden vor allem keine Unordnung. Bisher ist noch keine deutsche Führungspersönlichkeit oder politische Partei – eingeschlossen und besonders Angela Merkel – in großem Stil mit einem Plan hervorgetreten, Deutschlands viele Krisen zu bekämpfen und zu lösen. In Deutschland wurden bisher keine bedeutsamen Verbesserungen auf irgendeinem dieser Gebiete erreicht. Wenn sich das nicht sehr bald ändert, ist Deutschland auf dem direkten Weg in eine noch größere politische und soziale Krise.
Wenn wir die Lage in Deutschland recht betrachten, müssen wir nach einer möglichen Neubesetzung für Frau Merkels Posten Ausschau halten. Für jemanden mit der richtigen Persönlichkeit und guten Führungsqualitäten ist Deutschland gerade jetzt eine großartige Gelegenheit. Es gibt Millionen von enttäuschten und verärgerten Deutschen, die sich nach einem Anführer sehnen, für den sie sich wirklich begeistern können. Vielfältige größere Krisen brauen sich zusammen, die ihrer Lösung harren, aber sie können auch als politische Chancen dazu genutzt werden, ins hohe Amt berufen zu werden. Bisher zumindest scheint sich außer Frau Merkel niemand ernsthaft um die Gunst der Wähler zu bemühen. Aber ihr Stern beginnt bereits zu sinken.
Und ihr Stern würde noch weit schneller sinken, wenn die Deutschen eine andere Wahl hätten. Wenn sie einen Anführer bekämen, der energisch, wortgewandt und sympathisch wäre, mit einer Führungspersönlichkeit, die nicht davor zurückschreckt, die Probleme anzugehen. Jemand, der starke Worte nicht scheut und auch starke Entscheidungen fällen kann; ein Anführer, dessen Persönlichkeit und Politik angemessen modern, gemäßigt und fortschrittlich erscheint, der aber auch pragmatisch mit Kraft, Ausdauer und Macht sprechen, denken und handeln kann. Ein Anführer, der sich frisch und neu anfühlt, gleichzeitig aber auch Erfahrung mit deutscher Politik, deutschen Traditionen sowie mit deutschen Sitten und Gebräuchen hat. Vielleicht jemand mit einem eindrucksvollen fürstlichen Vermächtnis, der die patriotischen Gefühle der Deutschen wecken könnte. Ein Anführer, der die Fantasie der Deutschen anzuregen versteht. Jemand, der in der Lage ist, die Rolle des deutschen Supermannes auszufüllen.
Vielleicht so jemand wie …
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